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Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)

Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)

Titel: Tot ist nur, wer vergessen ist (German Edition)
Autoren: C.J. Lyons
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Anschließend richtete er sich wieder auf, streckte eine Hand aus und schloss dem Mörder die Augen.
    Der Vorhang ging schlagartig zu.
    Ein kollektives Seufzen ertönte, und allgemeine Unruhe breitete sich unter den Zeugen aus. Durch den blinden Nebel, der Sarah einhüllte, nahm sie das Schluchzen einiger Frauen und eines Mannes wahr, spürte, wie sich der Raum um sie herum leerte. Sie verharrte reglos mit brennenden Augen, die sich nicht schließen wollten.
    Alan berührte sie sachte am Arm, löste ihre Faust von der Scheibe und half ihr auf die noch wackligen Füße. »Wir müssen jetzt gehen«, sagte er leise.
    Bis zum letzten Moment reckte Sarah den Hals und starrte auf das dunkle Fenster. Als Alan sie schließlich bis nach draußen in den strahlenden Sonnenschein gebracht hatte, trafen die texanische Hitze und die hohe Luftfeuchtigkeit sie mit der Wucht eines Zehntonners.
    Mit einem Mal schien sie diejenige zu sein, deren Lunge wie gelähmt war, sodass sie zu ersticken drohte. Ihr Brustkorb verkrampfte. Einen Moment lang war es ihr Herz, das zum Erliegen kam.
    Sie zwinkerte kurz, und schon kehrte der Schmerz zurück. Dieses heftige Stechen hinter den Augen war seit zweiundzwanzig Monaten ihr treuer Begleiter und wurde weder durch Beruhigungsmittel noch durch die Hoffnung auf Erlösung gemildert. Im Gegensatz zu Damian Wrights Schmerzen.
    Sie lebte. Zumindest körperlich. Auch der Verstand funktionierte. Ihre Seele jedoch – die lag irgendwo auf dem Snakehead Mountain in einem anonymen Grab.
    Neben Sam und Josh.
    * * *
    Es ist vorbei, es ist vorbei, es ist vorbei … Die Worte woben sich in Sarahs Gedanken, verdichteten sich dort, bis sie einen weichen Kokon bildeten, der sie von jeglichem Gefühl abschirmte und ihr einen sicheren Ort bot, an dem sie sich verstecken konnte. Einen Ort, an dem sie nicht weiter nachdenken musste, nichts tun, nicht mehr reagieren. Nicht sein. Es ist vorbei, es ist vorbei, es ist vorbei …
    Sarah schlang die Arme noch enger um den Oberkörper, drehte Alan den Rücken zu und lehnte sich an das Seitenfenster des Wagens, während sie das Gefängnis hinter sich ließen. Sie hatte sich geschworen, auf keinen Fall zusammenzubrechen, zumindest nicht, solange jemand dabei war.
    Allerdings war Alan nicht irgendjemand. Alan verstand sie – er hatte das alles selber durchgemacht. Seine Frau war von einem Junkie getötet worden, der auf der Suche nach Bargeld in ihr Haus eingedrungen war. Deswegen hatte er die große Anwaltskanzlei, in der er gearbeitet hatte, verlassen, um sich für Opfer von Gewaltverbrechen einzusetzen. Um Menschen wie Sarah zu helfen.
    Wie hätte sie die vergangenen Monate ohne Alan überstehen sollen?
    Mit jeder Reifenlänge entfernten sie sich weiter von Damian Wright, von Sarahs letzter Aussicht darauf, Sam und Josh zu finden. Es ist vorbei, es ist vorbei, es ist vorbei …
    Sie sackte in sich zusammen, instinktiv suchte die rechte Hand den einzelnen Ring an der linken. Einen Verlobungsring besaß sie nicht. Stattdessen hatte Sam ihr damals das gegeben, was ihm am meisten bedeutet hatte: ein Plektrum des legendären Stevie Ray Vaughn, das er gegen einen Diamanten austauschen wollte, sobald er seinen ersten Song zu Geld gemacht hatte. Sieben Jahre danach steckte immer noch das Plektrum in dem schwarzen Samtkästchen auf ihrer Frisierkommode.
    Ihre Hand war kalt, dennoch strahlte der Ehering Wärme aus, ganz so, als ob sie Sam berühren würde. Sarah drehte den Ring im Rhythmus zu den Worten, die sich in ihre Seele brannten, sie zum Aufgeben verleiten wollten. Es ist vorbei, es ist vorbei, es ist vorbei …
    Nein! Das darf nicht sein. Nicht auf diese Art und Weise.
    Tränen wollten hinter ihren geschlossenen Lidern hervorbrechen. Sie umklammerte den schlichten Goldring noch fester. Er war ihre letzte Verbindung zu Sam, und durch ihn auch zu Josh. Sie war müde, so müde. Sie sollte aufgeben. Was blieb ihr anderes übrig?
    Schließlich ging ihr Leben weiter. Sam hätte gewollt, dass sie glücklich wurde. Eines Tages. Ein zittriger Atemzug bahnte sich einen Weg, und sie bemerkte, wie sich Alan neben ihr in seinem Sitz regte. Alan – könnte sie sich eine gemeinsame Zukunft mit einem Mann wie ihm vorstellen? Einem Mann, der fast zwei Jahre seines Lebens darauf verwendet hatte, sie aus heillosem Schmerz und Leid wieder ans Licht zu führen und ihr diese allerletzte Chance verschafft hatte?
    Letzte Chance, letzte Hoffnung, letzte Ölung.
    Es ist vorbei, es ist vorbei, es ist
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