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Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Titel: Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt
Autoren: Dario Castagno
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denkt, es müsste einfach sein, sie zu fangen – mein Hund hat das jedoch noch nie geschafft! Sobald er nahe genug ist und den Fasan fassen könnte, wird der Vogel unruhig und schwingt sich in die Lüfte, so unmöglich das auch scheinen mag.
    In den leeren Wäldern gucken die ersten Primeln und Veilchen unter der dicken Schicht vermoderter Blätter hervor. Alles ist reglos, brach und stumm. Kaum zu glauben, dass in wenigen Wochen hier der Frühling in seiner ganzen Buntheit und vollen Lebensenergie ausbricht.
    Im Februar habe ich sehr wenig zu tun, und oft benutze ich diese tote Jahreszeit, um in die Ferien zu fahren, ein entferntes Land zu besuchen und meinen eigenen Bedarf an Strand, Ruhe und Sonnenschein zu decken. Wenn ich zurückkomme, verbringe ich äußerst geruhsame Tage zu Hause. Der Tagesablauf ist langsam und geregelt. Endlich habe ich Zeit auszuspannen, nachzudenken und Pläne für die kommende Saison zu schmieden. Wenn der Wecker am Morgen klingelt, weiß ich, dass er nicht mir gilt, sondern Cristina, deren Leben im gewohnten Trott verläuft. Ich kann noch etwas länger im warmen Bett bleiben und lesen, dann aufstehen und ohne Eile den täglichen Arbeiten nachgehen. Durch das Fenster sehe ich, dass die Natur noch fauler ist als ich und noch immer schläft. Ich sinne darüber nach, wie mein Leben sich verändert hat, seit ich Reisebegleiter geworden bin, und wie mein eigenes Tempo sich immer mehr dem Rhythmus der Landschaft um mich herum angepasst hat. Im Winter machen wir beide eine Art Winterschlaf und sammeln Kräfte für die uns bevorstehenden Herausforderungen. Das Frühjahr weckt uns ganz allmählich und zwingt uns schließlich zur Arbeit zurück, wobei es uns Tag um Tag anspornt, noch etwas mehr zu tun. Im Sommer sind wir beide fleißig und tüchtig. Die Natur liefert reiche Ernten, und ich kümmere mich um meine vielen Gäste aus Übersee. Im Herbst werden wir langsam müde. Die ersten Blätter fallen, und des Sommers Reichtum versiegt. Der Boden im Chianti-Gebiet aber wählt diese Zeit für die Reifung seiner beiden besten Produkte, der Trauben und Oliven. Für Mutter Natur und auch für mich ist dies der Endspurt. Nach der Weinlese geht die Touristensaison zu Ende und lässt mir Zeit, die Produktion meines eigenen Extra-Vergine-Olivenöls sorgfältig Schritt für Schritt vom Pflücken bis zum Abfüllen in die Flaschen zu überwachen.
    Im Februar schneit es manchmal, und der Anblick der weißen Hügel ist fantastisch. Ruhe breitet sich über das ganze Land. Alles steht still – manchmal auch der elektrische Strom -, mit allen ärgerlichen Konsequenzen: kein Licht, keine Heizung, kein warmes Wasser oder gar kein Wasser, wenn die Rohre gefrieren – was nur zu oft geschieht. Fällt viel Schnee, ist man nicht selten von der Außenwelt abgeschnitten, hier, wo die Gemeindeverwaltungen es nicht gewohnt sind, mit derartigen Naturereignissen umzugehen. Ein paar Schneeflocken versetzen deshalb die gesamte Bevölkerung in Panik. Die Straßen sind blockiert, der öffentliche Verkehr bricht zusammen, und ganze Dörfer scheinen von der Zivilisation losgelöst zu sein. Wir alle wissen aber, dass die Temperatur schon am Tag darauf wieder steigt, der Schnee schmilzt und das Leben wieder in seine gewohnten Bahnen kommt. Ich habe Schnee nie besonders gemocht, außer als Kind, wenn ich deswegen nicht zur Schule gehen musste. Auch heute betrachte ich ihn lieber von weitem, wenn er auf fernen Berggipfeln glitzert.
    Von meinem Haus bis zum nächsten Dorf sind es etwa vier Kilometer. Das Dorf heißt Vagliagli – Knoblauch-Tal – und ist ein hübscher Ort auf einer Hügelkuppe. Wie viele Chianti-Dörfer stammt es aus grauer Vorzeit. Wahrscheinlich befand sich hier einmal eine Etruskersiedlung, aus der später eine römische Kolonie wurde. Im Mittelalter war die Siedlung ein befestigter Vorposten im Besitz einer einflussreichen Familie. Um während der zahlreichen Konflikte jener Zeit ihre Uneinnehmbarkeit zu gewährleisten, wurden Türme und imposante Mauern errichtet, die nach den Kriegen des 16. Jahrhunderts zu Wohnhäusern umgebaut wurden. Weil sich keine wichtige Straße in der Nähe befindet, ist Vagliagli von der Betriebsamkeit der übrigen Welt verschont geblieben, weshalb die Bevölkerungszahl stark zurückgegangen ist. Heute zählt das Dorf noch etwa vierhundert Einwohner.
    Außer einer Kirche und einem Dorfplatz mit einer kleinen Bar rühmt sich Vagliagli zweier Lebensmittelläden, eines Restaurants, eines
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