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Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Titel: Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt
Autoren: Dario Castagno
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weitere Pause wanderten wir durch die malerischen Gebiete der Viertel des Panthers, der Schnecke und der Schildkröte.
    Als der schwere Glockenschlag vom Mangiaturm ertönte, wurde mir bewusst, dass es Zeit fürs Mittagessen war. Das Wasser lief mir im Mund zusammen in der Vorfreude auf die Pici al tartufo (handgemachte typisch sienesische Teigwaren mit Trüffelsauce) bei meinem Freund Nello, aber da sagte Mr. Franklin in ernstem Ton: »Dario, ich bedaure, aber hier in Italien wisst ihr ganz einfach nicht, wie italienische Speisen zubereitet werden. Das beste italienische Essen bekommt man in Amerika. Wenn Sie nichts dagegen haben, möchten wir deshalb dort drüben essen.« Mit wachsendem Entsetzen folgte ich dem ausgestreckten Zeigefinger – mein Blick fiel unweigerlich auf die goldenen Bögen des McDonald’s-Restaurants! Weil ich bemerkt hatte, dass die beiden Humor hatten, dachte ich zunächst, sie machten sich über mich lustig. Aber nein! Es war ihr voller Ernst, und sie ließen sich nicht davon abbringen, dass die Italiener nicht italienisch kochen können, weshalb wir besser gleich zu McDonald’s gehen sollten. Alle Versuche, sie umzustimmen und den Italienern nochmals eine Chance zu geben, waren vergeblich. Sie blieben eisern bei ihrem Entschluss. Mit zitternder Stimme rief ich das hervorragende Restaurant Da Nello an und sagte den bestellten Tisch ab. Dann folgte ich, ein Italiener, hängenden Kopfes meinen amerikanischen Kunden in diesen unrühmlichen Fastfood-Tempel. Ich fühlte mich fehl am Platz und unbehaglich. Neonbeleuchtung, Plastiktische, Kartongeschirr – nichts, aber auch gar nichts erinnerte mich an einen Ort, an dem man in Frieden essen kann.
    Um die Sache noch schlimmer zu machen, feierte eine Gruppe lärmiger Kinder einen Geburtstag, und ein lächerlicher Clown machte für sie Kapriolen und verteilte Luftballons und Papierhütchen. Ich entschuldigte mich für einen Augenblick und zog mich in die Stille der Herrentoilette zurück.
    Bevor ich zurückkam, beobachtete ich die Franklins aus meinem Versteck hinter der WC-Tür. Trotz allem konnte ich ein Lächeln beim Anblick dieses Ehepaars mittleren Alters in den pastellfarbenen Trainingsanzügen nicht unterdrücken: Sie passten bestens in die laute Fastfood-Atmosphäre, stopften zufrieden Pommes und einen Hamburger in sich hinein und tranken dabei Unmengen Diät-Cola. Sie trugen Papierhüte, und über ihren Köpfen schwebten zwei an ihre Stühle gebundene Luftballons, auf denen das bekannte bogenförmige McDonald’s-Symbol prangte. Als wir gingen, nahmen sie dankbar ein Plastikspielzeug entgegen, den Helden irgendeines kommenden Disneyfilms. Als Andenken an Siena war dies bestimmt das Ausgefallenste, was ich je gesehen hatte.
    Wir verließen das Viertel des Drachens und wanderten durch jenes der Gans und des Kauzes. Dann hielten wir in einer Bar, wo sie ihren Energie-Riegel verschlangen und eine eisgekühlte Diät-Cola tranken. Wir gingen durch die contrada der Giraffe, stiegen die steile Straße zur Raupe hinunter, kletterten dann den Hügel zur Wölfin hinauf und gelangten schließlich ins Gebiet des Stachelschweins. Wir hatten alle siebzehn Viertel beziehungsweise contrade durchwandert. Unser Ziel war also erreicht, und so kehrten wir ins Hotel zurück.
    Im Fernsehraum zeigte ich den Franklins abschließend eine Videokassette über den Palio, das Rennen auf ungesattelten Pferden rund um die Piazza del Campo, das wichtigste gesellschaftliche und kulturelle Ereignis im Jahresablauf von Siena. Sie schauten gespannt zu, während sie einen Beutel Kartoffelchips mit Bratengeschmack aßen und weitere Diät-Cola tranken. Im Verlauf des Films wurden wir kurz unterbrochen vom Telefonanruf ihrer Tochter, der Mrs. Franklin in meiner Gegenwart völlig unbefangen ihre Eindrücke über den Tag mitteilte: »Siena ist eine wirklich schöne Stadt, aber überall geht es bergauf, und in den Restaurants bekommt man kein wirklich italienisches Essen.« Dann fügte sie hinzu: »Und weißt du was? Bei McDonald’s gibt es sogar Bier! Unglaublich, nicht wahr?«
    Ja, dachte ich, unglaublich.
    Ich bin in gutem Kontakt geblieben mit den Franklins, und sie haben manche Freunde und Verwandte auf eine Tour mit mir geschickt. Schließlich hatte ich sogar das Vergnügen, ihre Tochter zu begleiten. Als ich sie am Bahnhof in Florenz abholte, war es einfach, sie in der Menschenmenge zu erkennen: sie trug einen hellrosa Trainingsanzug, und über ihr ganzes Gesicht breitete
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