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Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Titel: Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt
Autoren: Dario Castagno
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typisch sind. Die Chance, am Schalter für Touristenauskünfte auf einen hilfreichen Angestellten zu stoßen, ist wesentlich besser, und in den Restaurants haben die Kellner Zeit und können sich in Ruhe ihren Gästen widmen.
    Allerdings ist es in dieser Zeit oft sehr kalt, aber mit etwas Glück kann man ein paar angenehm milde Tage genießen. Der Winter ist im Allgemeinen ziemlich trocken. Heftige Regenfälle sind eher im Frühjahr und im Herbst zu erwarten. Nur um die berühmten Gärten macht man lieber einen großen Bogen; in dieser Jahreszeit machen sie einen öden und trostlosen Eindruck.
    Ich spaziere im Januar gerne durch Siena. Die Stadt gehört wieder den Sienesen, und man kann durch die Hauptstraße schlendern, ohne in eine der riesigen Touristengruppen zu geraten, von denen es in der Hochsaison nur so wimmelt. Sie ziehen einher wie die Schafherden, allerdings folgen sie nicht einem Hirtenstab, sondern einem bunten Regenschirm.
    Siena ist eine faszinierende Stadt und wird meiner Meinung nach oft viel zu rasch abgehakt. Die meisten Besucher brennen zu sehr darauf, Kunst und Architektur ihrer berühmteren Nachbarstadt Florenz zu bewundern. So beschränken viele ihren Siena-Besuch auf wenige Stunden, gerade lang genug, um ein paar der Hauptattraktionen zu besichtigen: die Piazza del Campo, den Dom, die Hauptstraße und vielleicht noch ein Museum. Nur wenigen ist bewusst, dass Siena im 13. Jahrhundert zu den wichtigsten Städten Europas gehörte und heute eine der größten und am besten erhaltenen mittelalterlichen Städte Italiens ist. Auf einer Entdeckungsreise durch die vielen kleinen Gassen, bei einem Spaziergang ohne Ziel und Eile, stößt man auf die zahllosen Plätze und Kirchen, auf verheißungsvolle und geheimnisumwitterte Ecken, die dem Durchschnittstouristen verborgen bleiben. Das ist es, was ich meinen Kunden gerne vorschlage – einen Spaziergang zu den vielen Kostbarkeiten Sienas, zu Fuß, am wahren Puls der Stadt, fernab der Hektik und Betriebsamkeit der bekannten Touristenattraktionen.
    Es war Januar, als ich von einem Ehepaar Franklin gebeten wurde, mit ihnen eine derartige Tour zu unternehmen. Per Fax legten wir alle Einzelheiten fest. Am vereinbarten Sonntagmorgen holte ich sie in einem netten kleinen Hotel außerhalb der Stadtmauern ab. Wir hatten Glück: Es war ein wunderschöner Tag. Der Himmel war tiefblau und vollkommen wolkenlos, die Luft kalt, aber trocken, und die Sonne gerade kräftig genug, um an windgeschützten Stellen eine angenehme Wärme zu verströmen. Hunderte von Kirchenglocken läuteten laut und wild, und das Echo auf dem kleinen Privatparkplatz war ohrenbetäubend. Die Glocken bemühten sich offenbar fanatisch, die Gläubigen aufzurufen, Gott zu ehren und die Kirchen, die leider in diesem ausgehenden Jahrtausend in Italien meist leer sind, dieses eine Mal zu füllen.
    Ich traf die Franklins, als sie den Frühstücksraum des Hotels verließen. Ich erkannte sie sofort, auch weil offenbar keine weiteren Gäste im Hotel waren. »Sie müssen Dario sein«, sagten die beiden gleichzeitig. »Entschuldigen Sie uns bitte einen Augenblick! Wir holen im Zimmer ein paar Sachen und sind gleich wieder da.« In der kurzen Wartezeit setzte ich mich und überflog die lokale Tageszeitung. Im Hauptartikel auf der ersten Seite wurde die Bevölkerung in Riesenlettern über durch Taubenkot verursachte Schäden informiert. Ich hatte den Artikel erst zur Hälfte gelesen, weder interessiert noch sonderlich beeindruckt von der Magensäure der Vögel, als die Franklins wieder in der Hotelhalle standen, beide mit einem Energie-Riegel in der linken und einer Flasche Diät-Cola in der rechten Hand.
    »Wir wollen die ganze Stadt sehen, wie wir es schriftlich abgemacht haben. Wir sind Sportler, joggen täglich und treiben Aerobic. Ein bisschen marschieren macht uns keine Angst.« Beide machten einen offenen, freundlichen Eindruck – ja, sie sahen sich sehr ähnlich, wie das so oft der Fall ist bei Paaren, die schon lange miteinander leben. Ich schätzte ihr Alter auf etwa fünfzig. Sie waren groß und kräftig. Unter ihren New-York-Yankee-Mützen fielen ein paar weiße Haarsträhnen auf ihre Ohren. Ihre Wangen waren leicht gerötet. Sie hatten breite Schultern, und ihre muskulösen Beine waren im Vergleich zum Rest des Körpers überdimensioniert. Die Füße hätten zum Basketballspielen getaugt und steckten in enormen Turnschuhen von Nike. Ihre Jogginganzüge, gleiches Modell und gleiche Marke, waren
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