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Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt

Titel: Toskana Forever: Ein Reiseleiter erzählt
Autoren: Dario Castagno
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Postamts, einer Weinschenke, die nur während der Touristensaison ihren Betrieb aufnimmt und einer zweimal wöchentlich geöffneten Apotheke. Am besten gefällt mir die Post. Sie ist winzig, und alles ist so geblieben, wie es schon vor fünfzig Jahren war. Die Postbeamtin, eine freundliche Frau mittleren Alters, die alles von Hand macht, weil von einem hilfreichen Computer noch keine Rede ist, raucht wie ein Schlot und missachtet souverän die Tafel mit dem Rauchverbot. Das Postamt ist fast immer leer, es sei denn, die Renten werden ausbezahlt. An diesem Tag bilden die alten Leute von Vagliagli eine lange Warteschlange. Weil die Post so eng ist, reicht sie zur Tür hinaus bis auf die Straße. So unglaublich es ist, keiner dieser Rentner lässt seine Rente direkt auf ein Bankkonto überweisen. Man will das Geld in die Hand gezählt bekommen und es dann schleunigst selbst in der gegenüberliegenden Bank aufs Konto einzahlen.
    Der größere Lebensmittelladen ist nahe beim Dorfplatz, gleich neben der Bar – ein moderner, zweckmäßiger Laden mit einem guten Warenangebot. Auch Zeitungen sind dort erhältlich. Das andere Lebensmittelgeschäft dagegen ist eins der altmodischen Art und liegt im Erdgeschoss eines alten Wohnhauses. Hier wird frisches Gemüse aus den Gärten der Umgebung verkauft. Wenn man an der Hausglocke klingelt, kann man jederzeit etwas bekommen, denn die Inhaber wohnen direkt über dem Laden.
    Das Restaurant ist in der Hochsaison vor allem für die Touristen da, hat aber auch unter den Dorfbewohnern Stammgäste. Die Weinschenke wird von zwei jungen Leuten aus Siena geführt und ist zur Abendessenszeit geöffnet. Sie ist ein Ort für »Alternative«, wo man neben ein paar guten Weinen auch schmackhafte Kleinigkeiten bestellen kann, welche die freundliche Ghiga bis spät in die Nacht hinein zubereitet.
    Mit dem Aufkommen des Automobils in den Sechzigerjahren verschwanden der Metzger, der Frisör, der Milchladen und viele weitere Geschäfte, weil solche Dinge im nahen Siena nun überall erreichbar waren. Der gesellschaftliche Mittelpunkt des Dorfes bleibt die Bar, ein typisch italienisches Familienunternehmen mit einem großen Angebot an Likören, Kräuterschnäpsen, Fruchtsäften, gekühlten Getränken, Keksen, belegten Broten, Schokolade, Bonbons und natürlich Kaffee. In einem Raum im zweiten Stock spielen die alten Männer Karten, rauchen und besprechen bei einem Glas Wein die nächste Traubenernte. Im Erdgeschoss trinken ihre Frauen Kaffee, plaudern miteinander und tauschen mit dem Inhaber den neuesten Klatsch aus.
    Jedes Mal, wenn ich eine Bar betrete, bin ich fasziniert von den vielen Arten der Kaffeezubereitung. Der klassische Espresso kann »lang« oder konzentriert sein, »gefleckt« – macchiato – mit einem Schuss kalter oder warmer Milch, »hoch« oder »niedrig«, mit etwas Schnaps, koffeinfrei und vieles mehr, und all das, ohne die ebenso zahlreichen Cappuccino-Varianten aufzuzählen. Da kann selbst der geübteste Barkellner ins Schwitzen geraten, denn in Italien hängt seine Bravour vor allem davon ab, ob er die Vorlieben seiner Stammgäste auswendig kennt und »das Übliche« zubereiten kann, ohne weitere Angaben zu benötigen.
    Mit den Touristen sind zwei neue Ausdrücke aufgetaucht: Caffè americano heißt ein Aufguss mit viel Wasser, den Gäste bestellen, die sich nicht an den kleinen, stark konzentrierten italienischen caffè espresso gewöhnen können; latte bedeutet heute warme Milch mit Kaffee, nachdem viele amerikanische Gäste, die so bestellten, sich einem großen Glas kalter Milch gegenübersahen.
    Im Winter verbringe ich meine Zeit oft an einem Tischchen in der Bar bei einem Glas Wein und plaudere mit den alten Leuten. Ich höre ihnen gerne zu, wenn sie Geschichten von früher erzählen, oder beobachte sie, wie sie wütend fluchen, weil ein Spieler eine unpassende Karte auf den Tisch legt.
    Der Umgang mit älteren Menschen ist für mich nichts Außergewöhnliches. Die Mehrzahl meiner Kunden sind das, was die Amerikaner als »Senioren« bezeichnen. Aber die alten Leute von Vagliagli sind ganz anders als die Leute, die ich durch das Chianti-Gebiet begleite. Keiner von ihnen würde je davon träumen, eine Reise nach Übersee zu unternehmen, in einem fremdsprachigen Land ein Haus zu mieten oder mit einem Mietwagen herumzureisen. Ein vom Dorfgeistlichen organisierter Tagesausflug im Reisebus nach Rom ist für sie schon Aufregung genug. Man stelle sich ihre Angst beim Besteigen
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