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Torte mit Staebchen

Torte mit Staebchen

Titel: Torte mit Staebchen
Autoren: Susanne Hornfeck
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gestikulierend vertrieben sie die Boote der Einheimischen, die sofort Kurs auf den nächsten Neuankömmling nahmen. An der Mole herrschte ein ständiges Kommen und Gehen; Zeit war kostbar im Kanal. Wieder tutete die Schiffssirene, die Schrauben legten los, und der Dampfer drehte die Nase langsam in Richtung Kanaleinfahrt. Dann begann das sanfte, langsame Gleiten über die Wasserstraße. Schiffe durften hier nicht schneller als zehn Knoten fahren, darüber wachte der Lotse, der die Kraft der Maschinen auf ein Minimum drosseln ließ, um das Schiff sicher durch die enge Fahrrinne leiten zu können.
    Inge kam sich vor wie auf den teuersten Plätzen im Filmpalast, nur dass hier alles wirklich und in Farbewar; interessante Gerüche streiften ihre Nase, und der Wind zerrte an den Zöpfen. Zu beiden Seiten zog jetzt die Landschaft vorbei. Links, unter flimmernder Sonne, nichts als fahlgelbe Sandwüste; rechts ein Schienenstrang, dahinter ein See. Jenseits des Deiches, der die beiden Wasserflächen voneinander trennte, konnte man die großen, spitzen Dhau-Segel der ägyptischen Boote erkennen. Das Tempo war genau richtig, um alles in Ruhe zu betrachten.
    »Da fährt unser Schatten«, sagte Max und deutete auf das rechte Ufer. Dieser dunkle, über die Deichböschung huschende Doppelgänger machte ihnen erst bewusst, wie hoch die Aufbauten der »Conte Biancamano« über dem schmalen Wasserweg aufragten. Vom Land aus musste das ziemlich komisch aussehen: Ein Schiff, das mitten durch die Wüste fuhr.
    »Jetzt sind wir ein Wüstenschiff«, fasste Inge die Situation zusammen.
    »Und da drüben sind welche mit vier Beinen.«
    Inge musste die Augen gegen die Sonne schützen, um die gemächlich schwankenden Silhouetten zu erkennen, die sich in langer Reihe auf dem Deich abzeichneten.
    »Mensch, Max, das sind ja richtige Kamele.«
    Inge war völlig hingerissen. Diese Tiere mit den langen Wimpern, der hängenden Oberlippe und dem klugen, aber immer etwas hochmütigen Blick kannte Inge nur von Bildern und aus der Tierschau. Sie hatten ihr in ihrer herablassenden Arroganz schon immer imponiert. Und hier kam gleich eine ganze Karawane vorbei. Das Leittier und das Kamel am Schluss trugenvermummte Gestalten, die anderen waren mit großen Säcken beladen. Inge leuchtete sofort ein, warum die Reiter so eingemummelt und in Tücher gehüllt waren.
    »Knirscht’s bei dir auch zwischen den Zähnen?«, fragte sie Max.
    »Das ist Sand aus der Gobi«, erwiderte er sachkundig.
    »Glaub ich nicht, die ist zu weit weg.«
    »Auf jeden Fall ist das da drüben Asien«, sagte Max und deutete nach links.
    »Dann ist das hier Afrika«, konterte Inge und wies in die andere Richtung.
    »Morgenland«, sagte Max und wandte den Kopf nach links.
    »Abendland.« Inge schaute in die Gegenrichtung.
    »Morgenland, Abendland, Morgenland, Abendland«, sangen sie gemeinsam und warfen die Köpfe hin und her wie bei einem Tennismatch, bis sie vor Lachen nicht mehr konnten.
    »Wir fahren genau zwischen zwei Erdteilen durch.«
    Noch bevor Inge diese Erkenntnis richtig verdauen konnte, tutete es. Vor ihnen tauchte der Bug eines anderen Schiffes auf.
    »Die haben Vorfahrt, weil sie von Süden kommen.« Inge hüpfte vor Aufregung von einem Bein auf das andere. Zum Glück tat sich rechts von ihnen eine Ausweichstelle auf. Oder hatten die Lotsen das vorher untereinander ausgemacht?
    »Wirst sehen, wir fahren jetzt gleich in den Bahnhof da drüben.« Inge deutete auf die Ausbuchtung imKanalverlauf. Rüdigers vornehmes französisches Wort hatte sie längst vergessen.
    »Bahnhof?«, fragte Max nach, als die »Conte Biancamano« auch schon fügsam in die Ausweichstelle einbog, um die Fahrrinne freizugeben.
    »Ein Union Jack   – das müssen Engländer sein.« Max hatte die Flagge des entgegenkommenden Schiffes als Erster erspäht.
    Sobald der Schiffsrumpf nahe genug war, buchstabierten sie zweistimmig: »Ja-pa-ne-se Prin-cess London.« Die japanische Prinzessin, etwas kleiner als der italienische Graf, schob sich elegant an ihnen vorbei. Besatzung und Fahrgäste beider Schiffe drängten sich an der Reling zu vielstimmigem Hallo und gegenseitiger Begrüßung. Von drüben wehten die Klänge von »Jingle Bells« herüber.
    Die sind Weihnachten daheim, dachte Inge wehmütig, während sie hinüberwinkte. Wer jetzt wohl in Vaters Backstube die Plätzchen buk? Diese Frage ließ sich leicht beantworten, nur dass in Inge jedes Mal eine hilflose Wut hochkochte, wenn sie daran dachte: Herr
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