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Torstraße 1

Torstraße 1

Titel: Torstraße 1
Autoren: Sybil Volks
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nach Bernhard, aber da liegt er bestimmt nicht herum. Auch für Hanns wäre das nichts gewesen. In seinen letzten Jahren war er immer mehr zum Waldschrat geworden und schließlich ganz in seine Kate nach Lübars gezogen. Sie ist froh, dass sie ihm zuliebe mitgegangen ist, bevor er plötzlich den Schlaganfall hatte. In seiner Werkstatt beim Tischlern, am nächsten Tag war er tot.
    Elsa geht zwischen den unbekannten Menschen hindurch weiter hinaus auf die Dachterrasse. Rechts und links neben dem Pool stehen Sonnenschirme und Liegestühle, den Pool selbst kann sie nur erahnen, in der Richtung, aus der Platschen und Kreischen dringen. Vom Hochhaus gegenüber lächelt von einer Werbeplane eine riesige Bikinifrau auf sie herab. Und sie hatdoch glatt vergessen, ihren Bikini einzustecken. Nicht, dass sie noch einen besäße. Ein Pool auf dem Dach und Liegestühle – so etwas hatte es damals zur Eröffnung des Kaufhauses Jonass noch nicht gegeben. Vicky und Elsie hätte das sicher gefallen, sie wären die Ersten gewesen, wenn es darum ging, sich im Wasser zu tummeln. Na ja, Vicky wohl nicht mit ihrem dicken Bauch, aus dem sie, Elsa, noch am selben Abend herauswollte. Die ehemalige Poststelle hat sie nicht gefunden, aber das ist vielleicht besser so.
    Als sie um die Ecke biegen will, erklärt ihr jemand, sie könne hier leider im Moment nicht weiter. Ein paar Meter entfernt schüttelt eine elegant gekleidete ältere Frau dem Bürgermeister die Hand, neben ihr steht ein junger Mann, dessen spöttisches und zugleich herzliches Lächeln ihr irgendwie bekannt vorkommt. Aber das ist doch der höfliche junge Ami, dem sie es verdankt, überhaupt hier zu sein! Der sie am Einlass als seine Grandma durchgeschmuggelt hat. Nun lacht er, während um ihn herum die Kameras klicken. Scheint tatsächlich irgendwie wichtig zu sein, dieser junge Mann, der kaum älter sein dürfte als ihre jüngste Enkelin, um die zwanzig vielleicht. Ob er irgendetwas mit diesem Haus zu tun hat? Vielleicht sollte sie ihn fragen. Aber unter welchem Vorwand? Soll sie ihm verraten, dass ihr ganzes Leben mit diesem Haus verbunden ist, und die lange verwickelte Geschichte vor ihm aufrollen? Oder einfach auf ihn losgehen und sagen: »Hey, Sie sind doch ein Ami, kennen Sie vielleicht einen Harry Grünberg? Sie könnten sein Enkel sein!«
    So oder so, da muss sie sich erst mal Mut anrauchen. Und während sie sich unter einem Sonnenschirm auf einen Liegestuhl niederlässt, neben dem ein Aschenbecher steht, und nach gefühlten achtzig Jahren endlich eine ansteckt, denkt sie, dass es sie auch eine Menge Mut gekostet hatte, ein Jahr nach Vickys Tod den Brief an Gertrud Grünberg zu schreiben. Ein Jahr hatte sie allein gebraucht, um Gertruds Adresse herauszufinden,denn ein Kuvert zum Brief war nicht in Vickys Plattenhülle gewesen. Greenberg war ein erstaunlich häufiger Name in den Staaten und Franklin der häufigste aller Ortsnamen. Es war ihr beinahe vorgekommen, als hätte sich jemand auf ihre Kosten einen Scherz erlaubt. Nachdem sie es endlich geschafft hatte, Gertrud Greenberg zu finden, nach unzähligen Stunden Recherche mit Stephanies Hilfe, war kurz darauf ein Antwortbrief aus den USA gekommen – einer dieser ganz besonderen Briefe in ihrem Leben, bei deren Öffnen ihr das Herz bis zum Hals schlug.
    Der Brief kam nicht von Gertrud, und er bestand aus wenigen Sätzen. Harrys älteste Tochter Suzanne teilte ihr mit, dass ihre Familie keinen Kontakt nach Deutschland wünsche und nicht daran interessiert sei, in der Vergangenheit zu graben. Ihre Schwester brauche vom Fehltritt ihres Vaters nichts zu erfahren, und ihre Tante Gertrud sei vor zwei Wochen gestorben. Vor zwei Wochen – das hieß, ziemlich genau an dem Tag, an dem sie ihren Brief aus Berlin losgeschickt hatte. Mehr noch als die Reaktion ihrer Halbschwester, für die sie ein Fehltritt war und keine Verwandte, hatte ihr dieser unglückliche Zufall den Rest gegeben. Seltsamerweise hatte sie wochenlang um Gertrud getrauert, eine Frau, der sie nur als kleines Kind begegnet war und an die sie sich nicht erinnerte. Die ihr dennoch angesichts der Geschichte, ihrer persönlichen und der großen Geschichte, die über die Einzelnen hinwegging, unendlich liebenswürdig erschien. Eine Frau, die sie für ihr Leben gern kennengelernt hätte. Stattdessen hatte sie nach jenem Brief beschlossen, einen Schlussstrich unter diese Geschichte zu ziehen. Oder es zumindest zu versuchen.
    Mehrere Musiker ziehen an Elsa vorbei und
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