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Torso

Torso

Titel: Torso
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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und entfernte die Hülle.
    »Das sind Festplatten.«
    »Ja. Kannst du sie auslesen?«
    »Klar. Warum nicht?«
    Er deutete auf den Laptop, der auf dem Schreibtisch stand. »Kann ich den benutzen?«
    »Sicher.«
    Max öffnete seinen Rucksack, holte einen Satz Kabel und Stecker daraus hervor und machte sich an die Arbeit. Nach zehn Minuten lehnte er sich irritiert zurück und schüttelte den Kopf. Der Bildschirm des Laptops zeigte allerlei Balken und Kuchendiagramme an, die Elin nichts sagten.
    »Und? Was ist?«
    »Na ja. Die Platten sind voll. Aber die Dateien sind leer.«
    »Voll?«
    »Ja. Voll mit nichts.«
    Max nahm zwei weitere Festplatten aus dem Karton, packte auch diese aus und schloss sie nacheinander an den Computer an. Die bunten Balken flimmerten. Zahlenkolonnen huschten am unteren Rand entlang. Max experimentierte mit unterschiedlichen Tastenkombinationen herum. Aber das Ergebnis war immer das gleiche. Flimmernde Balken und endlose Listen von Dateien, die nichts zu enthalten schienen.
    »Von wem sind die Dinger?«, wollte Max wissen.
    »Ist das wichtig?«
    »Na ja, es würde mir schon helfen, wenn ich wüsste, wie gut derjenige war, der die Dateien verschlüsselt hat.«
    »Geh mal davon aus, dass er sehr gut war.«
    »Hätte ich mir ja denken können.«
    »Wieso?«
    Max blickte auf den Laptop.
    »Supergeile Maschine.«
    »Kannst Du die Dateien nicht irgendwie aufmachen?«
    »Ich versuch’s. Aber null Garantie.«
    »Das heißt?«
    »Wenn’s danebengeht, sind die Daten Asche. Außerdem … ist das Zeug okay?«
    Er schaute auf die Pinnwand über dem Schreibtisch. Elin bemerkte sofort, worauf sein Blick ruhte. Umrahmt von Notizzetteln hing ein Organigramm. Die Überschrift war nicht zu übersehen: Landeskriminalamt.
    »Die Platten sind von meinem Bruder«, sagte Elin. »Er ist im September ums Leben gekommen.«
    Sie beugte sich über ihn und drückte ein paar Tasten auf dem Laptop. Ein Foto von einem Kind erschien. Das kleine Mädchen schaute melancholisch in die Kamera. Es war ein hübsches Kind.
    »Meine Nichte«, sagte Elin. »Sie wird im Sommer vier. Mein Bruder hat Tausende Fotos von ihr gemacht.«
    »Aber das hier sind keine Bilddateien«, entgegnete Max.
    »Bist du sicher? Du weißt doch gar nicht, was drin ist.«
    »Warum sollte dein Bruder Bilddateien so aufwendig verschlüsseln?«
    Elin zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Willst du einen Tee?«
    Elin richtete sich wieder auf. Sie legte kurz ihre Hand auf seine Schulter. Dann ging sie in die Küche. Als sie den Wasserhahn wieder zudrehte, vernahm sie das Geklapper der Tastatur. Sie wartete, starrte stumm in den Topf, bis sich am Boden kleine Blasen zu bilden begannen. Dann gab sie auf und ließ die Tränen laufen. Die Erinnerung an die kleine Carla war das Schlimmste. Wie sie an diesem Grab gestanden hatte, völlig verständnislos, mit ihrem dunkelgrünen Mantel, den rosa Strümpfen, die linke Hand in der Hand von Jule, ihrer dämlichen Mutter, und in der rechten ihren kleinen Stofftiger. Erics Tiger. Katanga, aus dem Berliner Zoo. Was war eigentlich schlimmer? Wenn Eltern ein Kind begraben mussten oder eine Dreijährige ihren Papi?
    Vor allem Carlas Anblick hatte ihr damals furchtbar zu schaffen gemacht. Wie das kleine Mädchen zwischen den Trauergästen stand und manchmal fragend zu Jule aufschaute. Eric war vernarrt in seine Tochter gewesen. Und die Kleine hatte sich irrsinnig auf die Wochenenden gefreut, wenn Papa für zwei Tage aus Berlin kam, um sein Sorgerecht auszuüben, trotz Jules ewiger Sabotageversuche. Elin hasste diese Tussi. Wie die meisten Ex-Freundinnen ihres Bruders war Jule hübsch, blond und für Elins Begriffe strohdoof, ein fester Bestandteil der Hamburger Schickeria. Ohne Eric würde sie Carla nun wohl kaum mehr zu sehen bekommen. Das Kind war verloren, Jule würde sie schon ihrer Art entsprechend versauen.
    Elin riss die Augen auf, starrte in den Hinterhof und fühlte, wie ihre Tränen trockneten. Als das Wasser kochte, goss sie den Tee auf, stellte die Kanne und zwei Becher auf ein Schneidebrett und trug alles ins Zimmer.
    Max kauerte konzentriert vor dem Laptop. Elin konnte nicht erkennen, was genau er gerade gemacht hatte. Mehrere Festplatten waren irgendwie miteinander verkabelt, und auf dem Bildschirm öffneten sich laufend neue Fenster. Max fluchte und hieb zunehmend genervt auf die Escape-Taste. Aber nichts geschah. Elin stellte das Brett ab. Plötzlich wurde der Bildschirm schwarz. Dann begann auf einmal ein
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