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Torso

Torso

Titel: Torso
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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ein Bild von der Sache machen und habe mich in einem Pro Ana Forum angemeldet, was gar nicht so leicht war. Nun muss ich entsetzt feststellen wie eine tödliche Krankheit verherrlicht wird. Ich möchte mein Entsetzen gerne mit anderen teilen.
    Ich habe ein account von einem Pro Ana Forum zu verleihen. Ich erwarte, dass die Personen denen ich mein account ausleihe sich unauffällig verhalten und so tun als ob die ein krankes Mitglied wären.
    Violate schrieb:
    Ich find das scheiße sich in so ein Forum einzuschleichen indem man irgendwelche Lügen über sich erzählt. Klar ist das schlimm wenn da Magersucht verherrlicht wird, aber die haben nicht umsonst solche Aufnahmeregelungen. Das was sie da schreiben soll eben nicht einfach jeder lesen können und die Mädels da verlassen sich wohl drauf dass das was sie den anderen mitteilen auch unter ihnen bleibt.
    Elin scrollte weiter und wollte sich schon wegklicken, als ein Foto sie zusammenzucken ließ.
Shewolf1313
hatte es unter folgendem Text eingefügt:
    Mh, ich halte mich aus der Sache dort raus, aber es wäre keine schlechte Idee … Ich selbst möchte nicht in das Board rein, sonst muss ich eventuell Threads lesen mit der Überschrift »Findet ihr mich fett?«, und dann taucht höchst wahrscheinlich so ein Bild auf:
    Das Mädchen war nur Haut und Knochen. Es trug ein Tutu. Ein schmaler Gazestreifen war um die Brüste gebunden, die auf die Größe von Mandarinen geschrumpft waren. Die Gelenkknochen zeichneten sich gut sichtbar unter der angespannten Haut ab. Eine orangefarbene Schleife steckte im Haar des Mädchens, das ebensogut dreizehn wie dreiundzwanzig Jahre alt hätte sein können. Sein Kopf war kokett zur Seite geneigt, als flirte es mit dem Fotografen.
    Elin spürte Würgereiz. Es war Toblerone, die kleine Schweizerin, mit der sie vor vier Jahren durch halb Deutschland getrampt war. Bis vor kurzem hatte sie das Mädchen in Hamburg immer mal wieder gesehen. Sie kannte Toblerones Geschichte. Und eben dies war das Entsetzliche an diesem Bild. Nicht der abgemagerte Körper. Nicht dieser Leib, der einfach nur Schutz gesucht hatte in seinem Verdorren, Schutz vor Papas geilen Blicken, die sie jetzt offenbar eingeholt hatten. Welches Schwein hatte dieses obszöne Hochglanzfoto geschossen?
    Sie war kurz davor, einen Kommentar zu schreiben, ließ es aber bleiben. Was hatte es für einen Sinn, mit Voyeuren aus der Fresswelt zu reden? Sie würde Toblerone suchen müssen, wenn sie wieder in Hamburg war. Wenn sie wieder Zeit hatte. Sie schaute noch einmal bestürzt das Foto an. Wie viel mochte sie noch wiegen? Kaum vierzig Kilo. Absolute Untergrenze.
    »Elin?«, sagte jemand neben ihr.
    Ein hagerer Junge in Jeans und schwarzem Kapuzenpulli stand da. Sein Blick wanderte zwischen ihr und dem Foto auf dem Computer hin und her. Er errötete.
    »Ich wollte nur sagen, dass ich da bin. Wenn du noch zu tun hast …«
    »Nein. Ich bin fertig.«
    Sie loggte sich aus, schloss die Anwendung und erhob sich. Elin war groß, aber der Junge überragte sie um einen Kopf.
    »Ich hab’ die Sachen nicht hier«, sagte sie. »Können wir zu mir gehen und es dort machen?«
    »Klar. Ist es weit?«
    »Nein. Zehn Minuten.«
    Durch den Schnee wurden es zwanzig. Sie mussten vorsichtig fahren und an fast allen Kurven absteigen, weil es zu glatt war. Als sie in den Hinterhof fuhren, waren sie die Ersten, die auf der weißen Fläche Spuren hinterließen. Sogar die stets überquellenden Mülltonnen sahen unter ihren frischen Schneehauben romantisch aus. Und Elin fand, dass der Wind und die Kälte einen unschlagbaren Vorteil hatten: Die Stadt stank weniger.
    Die Wohnung war kalt. Elin hatte am Morgen eingeheizt, aber der Kachelofen war gerade einmal lauwarm. In der spartanisch eingerichteten Küche gab es überhaupt keine Heizung, und das einzige Zimmer verfügte über zwei schlecht isolierte Kastenfenster. Elin bat Max, am überfüllten Schreibtisch Platz zu nehmen. Der Junge sah ihr schweigend zu, wie sie die Ofenklappe aufschraubte und zwei Briketts in den Schacht warf. Dann verfrachtete sie das Durcheinander auf dem Schreibtisch, das vor allem aus Papieren, Ordnern, einem Teebecher und einem Blechteller mit drei geschälten Karotten bestand, mit einigen Handgriffen auf die Matratze, die neben dem Ofen auf dem Boden lag.
    »Kannst du damit etwas anfangen?«, fragte sie, während sie einen offenen Karton vor ihn hinstellte. Sie nahm zwei handgroße, mit Luftpolsterfolie eingepackte Gegenstände heraus
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