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Torso

Torso

Titel: Torso
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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schießen. Draeger ordnete sichergestellte Spuren.
    Zollanger hatte seinen weißen Schutzanzug geöffnet und die Handschuhe ausgezogen. Schade, dachte er, dass die Anzüge nicht über die Augen reichten. Auch nach nun fast vier Stunden verstörte ihn der Anblick immer noch. Ja, es schien ihm sogar durch die Betondecken hindurch hinterherzustarren.
    Er blickte in das Schneetreiben hinaus und rauchte. Berlin-Lichtenberg lag sieben Stockwerke unter ihm, aber durch das Schneegestöber war die Sicht schlecht. Die Dächer der Türme am Frankfurter Tor waren schemenhaft zu erkennen. Der Alex war verschwunden. Wenn es früher zu schneien begonnen hätte, wäre das von Vorteil gewesen. Wer immer das Ding hier deponiert hatte, hätte wenigstens Fußspuren hinterlassen. So war der Schnee nur ein Störfaktor.
    Er spürte, dass jemand neben ihn getreten war. Es war Udo Brenner.
    »Willst du auch eine?«, fragte Zollanger, griff in seine Manteltasche und nestelte ein Päckchen Club-Zigaretten hervor.
    »Frühstück wär’ mir so langsam lieber.«
    »Unten gibt’s Kaffee.«
    »Ohne Fahrstuhl. Nee danke.«
    Du mit deinen dreiundfünfzig wirst das ja wohl noch schaffen, dachte Zollanger, sagte aber nichts.
    »Warum wohl ausgerechnet acht?«, fragte er stattdessen.
    »
Das
wundert dich?«, gab Udo Brenner zurück. »Sonst nichts?«
    Zollanger ließ seine Zigarette auf den rauhen Betonboden fallen, trat sie aus und steckte fröstelnd die Hände in seine Manteltaschen. Brenner hatte recht. Vor dem Frühstück schmeckten die Dinger nicht besonders. Nicht mal seine geliebten alten Ostzigaretten.
    »Ich frage mich nur: Warum schleppen die Typen das Ding ausgerechnet ins achte Stockwerk? Warum nicht ins zehnte oder dritte? Es sieht doch überall gleich aus. Alle Wände weg. Alle Fenster. Rohbau sozusagen. Hätte es der dritte Stock nicht auch getan?«
    Brenner zuckte mit den Schultern. »Du meinst also, es waren mehrere Männer?«
    Knipste Findeisen da oben immer noch herum? Digitaltechnik, dachte Zollanger. Er war in einer anderen Welt groß geworden. Der Welt des Mangels. Da überlegte man, bevor man Bilder schoss, und knipste nicht einfach besinnungslos drauflos. Was nützten ihm Hunderte von Fotos von einem Torso?
    »Frauen waren es sicher nicht«, sagte er.
    »Warum?«
    »So eine Scheiße macht keine Frau. Und das Ding wiegt gut und gerne vierzig Kilo.«
    »Rollkoffer«, entgegnete Brenner. »Kein Problem heutzutage.«
    »Ja. Da hast du auch wieder recht. Kein Problem.«
    »Du traust Frauen zu wenig zu.«
    Zollanger erwiderte nichts. Ein dunkelgrüner Kleinbus kam auf einmal unten auf der Straße herangekrochen. Die weiße Aufschrift auf der Seite war aus der Entfernung nicht zu lesen, aber Zollanger wusste auch so, was darauf stand:
Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin Berlin.
Der Wagen schlich die Siegfriedstraße entlang, ein gut sichtbarer dunkelgrüner Kasten im bereits wieder schwächer werdenden Schneetreiben. Er kam neben den zwei Streifenwagen zum Stehen. Trotz des schlechten Wetters hatte sich eine kleine Traube von Schaulustigen gebildet, die immer wieder neugierig zu ihnen heraufschauten.
    »Kriegen noch Genickstarre da unten«, brummte Brenner ungehalten. »Worauf warten die bloß? Leuchtreklame, oder was?«
    Zollangers Handy klingelte.
    »Ja?«
    »Frieser hier. Wie siehts aus?«
    »Wir sind bald fertig, haben aber nicht viel«, sagte Zollanger. »Der Notruf kam aus einer Telefonzelle Siegfried-/Ecke Bornitzstraße. Männliche Stimme.«
    »Anonymer Anruf also.«
    »Ja. Das Gebäude wird demnächst abgerissen. Angeblich treiben sich oft Obdachlose darin herum, die manchmal auch hier übernachten. Wir haben jede Menge Müll gefunden, der vielleicht etwas hergibt. So, wie das Ding zurechtgemacht ist, sollte es wohl auch gefunden werden.«
    »Haben Sie die Telefonzelle untersucht?«
    »Auf dem Hörer sind die Fingerabdrücke von halb Lichtenberg. Ein Kondom lag auch in der Kabine. Gebraucht. Haben wir sichergestellt.«
    »Na prima«, bemerkte Frieser. »Wir sollten in dieser Stadt dazu übergehen, es als sonderbar zu vermerken, wenn keine gebrauchten Kondome herumliegen. Sonst irgendwelche Auffälligkeiten?«
    »Nein. Abgesehen von einem weiblichen Torso, in den jemand einen Gewindestab hineingerammt hat, um einen Ziegenkopf darauf aufzuspießen, ist hier nichts auffällig.«
    Der Staatsanwalt verstummte für einen Augenblick. »Ich frage ja nur«, sagte er dann. »Hat Weyrich sich schon geäußert?
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