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Torso

Torso

Titel: Torso
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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Mit dreiundzwanzig bei der
Vogue.
Mit vierundzwanzig hatte er die schwedische Vizeschönheitskönigin Marie Svensson erst fotografiert, dann geschwängert, geheiratet und schließlich erfolgreich zu Tode betrogen. Oder woher bekam eine zuvor kerngesunde, bildschöne Frau mit dreiunddreißig Jahren plötzlich Krebs, wenn nicht von Edmund Hilgers verlogenem Ego. Ja, davon hatte Eric durchaus auch etwas gehabt. Aber es war eben auch etwas von Marie Svensson in ihm gewesen, etwas Menschliches, ein Herz vielleicht oder eine Seele, irgendetwas in dieser Art, das Edmund Hilger nicht einmal vorgab zu besitzen.
    Aber sollte sie das diesem Herrn Hauptkommissar erzählen? Ihre und Erics Familiengeschichte. Früher Tod der Mutter. Verhältnis zum Vater zerrüttet. Tochter jahrelang Straßenkind und heute in der Hamburger Attac-Szene. Hausbesetzerin. Militante Vegetarierin. Sohn in der Computerbranche, gescheiterter Existenzgründer. Ergo: Selbstmord.
    »Frau Hilger?«
    Sie hatte die Frau gar nicht kommen sehen. Elin erhob sich. Die Frau trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Elin schaute auf sie herab. Sie spürte, wie der Blick der Beamtin sie scannte. Das kleine Bindi zwischen ihren Brauen! Die kurzen blonden Haare. Die Lederjacke.
    »Wilkes«, sagte die Frau jetzt. »Es tut mir leid, aber Herr Zollanger kann Sie heute nicht empfangen. Er ist bei einem Einsatz. Ich muss Sie bitten, ein anderes Mal wiederzukommen.«
    »Wann?«
    »Sie müssten einen neuen Termin ausmachen. Vielleicht am Montag per Telefon.«
    »Ich habe zehn Tage auf diesen Termin gewartet.«
    »Ja. Und wir können es uns nicht aussuchen, wann in Berlin Straftaten begangen werden. Worum geht es denn überhaupt?«
    Elin versuchte, sich zu beherrschen, aber es fiel ihr schwer. Montag. Drei Tage. Sie hatte Pläne gehabt für das Wochenende. Pläne, über die sie mit diesem Bullen hatte sprechen wollen.
    »Es geht um meinen Bruder. Eric Hilger. Hier ist das Aktenzeichen.«
    Sie gab der Frau einen Zettel. Die schaute das Papier verständnislos an.
    »Ich begreife gar nicht, wieso er Sie überhaupt hat herkommen lassen. Über Ermittlungssachen kann er gar nicht mit Ihnen sprechen.«
    »Er hat den Tod meines Bruders untersucht. Warum sollte er nicht mit mir sprechen?«
    »Weil er es nicht darf. Sie müssen sich an die Staatsanwaltschaft wenden, beziehungsweise Ihr Anwalt.«
    Elin atmete einmal tief durch, bevor sie weitersprach.
    »War die Staatsanwaltschaft vielleicht im Tegeler Forst?«, fragte sie.
    »Frau Hilger, das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich weiß nur …«
    »Aber ich kann es Ihnen sagen: Es war kein Staatsanwalt vor Ort, als mein Bruder gefunden wurde. Auch kein Gerichtsmediziner. Weil die Polizei von Anfang an von einem Selbstmord ausgegangen ist. Zwei Streifenpolizisten haben ihn einfach abgeschnitten und ins Leichenhaus gebracht. Es wurde überhaupt nichts richtig untersucht.«
    Frau Wilkes schüttelte den Kopf.
    »Da müssen Sie sich schon an die Staatsanwaltschaft wenden, liebes Mädchen. Hauptkommissar Zollanger wird Sie nicht empfangen, das kann ich Ihnen garantieren. Guten Tag.«
    Elin schaute der Frau hinterher. Ihr Herz klopfte. Nach einer Weile bemerkte sie, dass sie den Umschlag in ihrer Hand fast zerdrückt hatte. Sie strich ihn glatt, schob ihn in ihren Rucksack, schulterte ihn mit einer wütenden Bewegung und verließ das Gebäude.
    Das Schneetreiben hatte an Stärke zugenommen. Die Straßen waren weiß. Die Autos fuhren vorsichtig. Auf Elins Fahrrad türmten sich kleine Schneehauben. Sie strich den Sattel frei, öffnete das Schloss und fuhr Richtung Kanal davon.
    Tanja Wilkes beobachtete sie aus ihrem Büro. Fahrrad, dachte sie. Bei diesem Wetter. Dann verfasste sie eine Notiz für den ersten Hauptkommissar und vergaß den Vorfall.
    Re: Ihr Termin heute 10:00 Uhr mit Elin Hilger, Schwester des Verstorbenen Eric Hilger (Selbsttötung/Aktenzeichen 1 Kap Js 3412/01). Bez. Hilger um 11:08 Uhr in Ihrer Abwesenheit empfangen und an Staatsanwaltschaft verwiesen. Wird vermutlich nicht erneut vorstellig werden. Gez. Wilkes.

[home]
3
    Z ollanger hatte sich für seine Zigarettenpause in die siebte Etage zurückgezogen. Aber selbst hier verfolgte ihn dieses Ding. Er sah es vor sich, ganz gleich, wohin er schaute, wie es dort oben auf dem Boden lag, gut ausgeleuchtet, wie ein verdammtes Kunstwerk. Er konnte seine Kollegen im oberen Stock gut hören, wenn sie sich etwas zuriefen oder Material bewegten. Findeisen war dabei, letzte Fotos zu
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