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Torso

Torso

Titel: Torso
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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Morgen eine Eintrittskarte für das Museum bei ihm gekauft.
    Er trat wortlos zur Seite. Als sie zögerte, ergriff er sie sanft am Arm, zog sie herein und schloss die Tür wieder.
    »Signora Hilger?«, fragte er kurz.
    Sie nickte unsicher.
    »Aspetta qui«, sagte er nur. Der Hausflur führte in einen Hof, an dessen Ende ein weiteres Haus stand. Der Mann verschwand darin. Es vergingen ein paar Minuten, bis ein anderer, jüngerer Mann erschien. Er ging an Elin vorbei, öffnete die Tür zur Straße und machte ihr dann ein Zeichen, ihm zu folgen. Sie tat, wie ihr geheißen. Schweigend gingen sie einige Minuten stadtauswärts bis zu einem Parkhaus. Der Mann signalisierte ihr, zu warten. Kurz darauf hielt ein Wagen vor ihr. Der Mann beugte sich über den Beifahrersitz und öffnete ihr die Tür.
    »Parli italiano?«, fragte er, als er sah, dass sie zögerte.
    »No«, sagte sie.
    »Inglese?«
    »Yes. A little.«
    »You want to see your friend?«
    »Yes.«
    »I will take you.«
    »Where is he?«
    »I cannot tell you«, gab der junge Mann zurück. Dann fügte er hinzu: »I am Stefano. Do not worry. In two hours we are there. Okay?«

[home]
69
    S ina hatte niemandem von ihrem Vorhaben erzählt. Nicht einmal Udo. Nicht einmal Hendrik. Es war das erste Mal, dass sie ihren Mann angelogen hatte. Aber hatte sie eine Wahl?
    Sie kauerte hinter dem Steuer ihres Dienstwagens und starrte durch die leicht beschlagene Scheibe nach draußen. Der Gasthof, in dem das Mädchen abgestiegen war, lag dunkel im Morgengrauen. Es war Viertel nach sechs. Sina stand seit zwanzig Minuten hier. Das kleine Ortungsgerät neben ihr auf dem Beifahrersitz zeigte eine eindeutige Peilung an. Das Mädchen, oder zumindest das Fahrrad, befand sich keine fünfzig Meter weit entfernt von hier, vermutlich im Hof dieses Trebbiner Gasthauses.
    Sina hatte noch immer Mühe, die neue Situation zu begreifen. Zollangers Tod hatte sie in ein tiefes Loch gestürzt. Aber dass dieses Loch auch noch in einen Abgrund aus Täuschung und Verrat mündete, überforderte sie. Zollangers Stimme im Gerichtssaal klang noch in ihr nach. Sie war reglos sitzen geblieben, nachdem die Verhandlung unterbrochen worden war, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Die Richter und Anwälte waren in einem Nebenraum verschwunden. Udo hatte sich erhoben. Sie hatte seinen Blick auf sich gespürt, hatte zu ihm aufgeschaut, aber nur stumm den Kopf geschüttelt, als er ihr anbot, sie im Wagen mitzunehmen. Er hatte sich zwischen den am Saaleingang herumstehenden Journalisten einen Weg gebahnt und war gegangen. Sina hatte ihm nachgeschaut, und dann war ihr Blick zu dem Mädchen gewandert.
    Elin Hilger saß noch immer in der gleichen Haltung an ihrem Tisch. Ihr Vater hatte sich direkt vor sie gestellt, um sie vor den neugierigen Blicken der Journalisten zu schützen. Mirat saß mit gesenktem Kopf neben ihr wie jemand, der einen Schlag erwartet.
    Sina war aufgestanden, um die Absperrung herumgegangen und direkt auf das Mädchen zugegangen. Aber dann hatte sie etwas zurückgehalten. War es ihr Instinkt, der ihr sagte, dass es unklug war, sich der jungen Frau jetzt zu nähern? Sie war in den Besucherbereich zurückgekehrt. Die Richter kamen zurück und gaben bekannt, dass die beiden Strafverfahren aufgrund neuer Erkenntnisse eingestellt würden.
    Mirat hatte sich erhoben und war wie in Trance auf den Saalausgang zugetaumelt, wo schon die Presseleute hereindrängten. Vor allem Frieser wurde mit Fragen bestürmt, die er jedoch mit eisiger Miene unbeantwortet ließ. Auch Elin ignorierte alle Fragen und verließ an der Seite ihres Vaters rasch den Gerichtssaal.
    Sina folgte den beiden. Erst jetzt wurde ihr klar, wie tief verletzt sie wirklich war. Was immer Zollanger in den letzten Wochen und Monaten bewegt haben mochte: Er hatte sie verraten. Nicht nur sie. Auch Udo und die anderen. Er hatte sie auf übelste Weise hintergangen. Und sie konnte ihn dafür nicht einmal zur Rede stellen. Dieses Mädchen dort war seine Komplizin gewesen, seine Vertraute. Hatte sie die ganze Zeit über Bescheid gewusst, diese Enthüllungsfarce mit ausgeheckt? Wer war sie wirklich? Wie lange kannte sie Zollanger schon? Wo hatte diese ganze Geschichte wirklich begonnen? Und wo endete sie?

[home]
70
    Z wei Stunden. Elin dachte an Cemal. Was er sagen würde, wenn er sie jetzt sehen könnte. In einem Auto. Dann dachte sie nichts mehr. Sie schaute aus dem Fenster und versuchte, die Orientierung zu behalten. Sie fuhren über
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