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Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
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Wörterbüchlein in der Hand reichte mein Japanisch nur für ein einfaches Gespräch. Das bedauerte ich, denn ich hätte gerne mehr über Sumo gehört. Die Kraftmenschen redeten jedoch lieber untereinander über den Wettkampf, die Hackordnung im Sumo-Stall sowie Tricks und Griffe beim Ringen. So viel glaubte ich an ihren Gesten zu erkennen.
    Nachts fürchtete ich um mein Leben. Der Junge neben mir hatte einen Alptraum, schlug um sich und geriet ins Rollen. Ausgerechnet in meine Richtung. Die anderen wussten vermutlich schon, warum sie ihn auf seinen Futon an den Rand gelegt hatten. Zwischen ihm und der Wand lag jedoch noch ich, der Ausländer. Glücklicherweise wachten die anderen auch auf, kümmerten sich um den schlechten Träumer und entschuldigten sich bei mir. Später erfuhr ich, dass die harten Sitten beim Sumo-Training psychische Schäden bei empfindlichen Jugendlichen hinterlassen können. Vielleicht hatte er deshalb Alpträume.
    In Kanazawa wurde mir klar, dass ich vermutlich einige Tage vorher in dem kleinen Örtchen Tsuwano, in den tiefgrünen Bergen bei Hiroshima einen Fauxpas begangen hatte. In Kanazawa verstand ich zum ersten Mal das japanische
Wort für »Gemeinschaftszimmer« richtig. Hatte der Raum in der Herberge von Tsuwano nicht auch so geheißen? Das Zimmer war nicht sehr groß gewesen, und ich hatte angenommen, es sei ein Einzelzimmer für mich. Also hatte ich die Tür abgeschlossen. Als ich schon auf dem Futon lag, hatte ich mich gewundert, dass ab und zu jemand am Knauf gerüttelt und etwas auf Japanisch gesagt hatte. Es klang allerdings nicht sonderlich aufgeregt, ich ließ mich erst mal nicht stören. Meine potentiellen Mitbewohner waren jedoch anscheinend einfach zu höflich, um sich lauter zu beklagen.
    Am nächsten Morgen beim Frühstück hatte die Wirtin zwar ganz normal mit mir über die Millionen von Fröschen geplaudert, die im warmen Regen draußen quakten und eine außerirdische Atmosphäre schufen. (»Stören die Frösche nicht den Reisanbau?«, suchte ich mir eine Frage zusammen. »Nein, die leben ganz normal in den Feldern und fressen schädliche Insekten«, sagte sie.)
    Ihre Hauptsorge war jedoch gewesen: »Sie reisen doch sofort wieder ab, oder? - Ich habe nämlich Reservierungen für das Zimmer.« Aber wer rechnet denn damit, dass der Gast sich eine Fläche von zwölf Tatamimatten auch noch mit jemandem teilen muss?
    Auf der Rückreise aus dem Süden des Landes in die Region Tokio dachte ich über all die traditionellen japanischen Häuser nach, die ich gesehen hatte. Sie sahen wunderschön aus, innen wie außen. Doch als Bauwerke waren sie eigentlich nur bessere Bretterbuden. Dünne Wände, kaum armdicke Holzpfeiler, einstöckig. Durch die lange Reihe von Glastüren mit Ozeanblick von Kenjis Familie pfiff bei Taifun-Wetter
klappernd der Wind. Im Winter blieb der größte Teil des Hauses kalt, wie die Leute erzählt hatten. Kein Wunder, dass überall im Land Gebäude im westlichen Stil auftauchten. Da wohnte es sich praktischer. Und klimatisierter.

    In der alten Kaiserstadt Nara staunte ich über die Tempel aus dem siebten Jahrhundert, bis mir klar wurde, dass sie alle zwischendurch bei Erdbeben zerstört und hinterher neu aufgebaut worden waren. Trotzdem bestürmten mich hier zwischen Buddhastatuen religiöse Einsichten, die ich in Notizbüchern festhielt. Als ich zehn Jahre später auf diese Einträge starrte, konnte ich zwar nichts mehr davon nachvollziehen, aber ich bin überzeugt, damals den ewigen Wahrheiten ganz nahe gewesen zu sein.
    Eines nahm ich aber definitiv aus Nara mit: Geheimwissen um Hightech-Toiletten. Ich war hier nicht in einer Jugendherberge abgestiegen, sondern in einem supereffizienten Hotel für Geschäftsleute, einer Wohnmaschine fast ohne Personal. In die Zimmer passte praktisch nur das Bett. An der Innenseite der Klotür klebte eine englische Erklärung zur Benutzung der Toilette. »You sit down - Cold water dispensed Automatic raise water level for comfort - one preparation indicator goes off, defecation possible.« Daneben fand sich eine lustige Comicsequenz, die das verdeutlichte. (Japaner verdeutlichen alles mit Comics.) Der höhere Wasserstand sollte der Zeichnung nach das Spritzrisiko beim Herabfallen der Fäkalien verringern. Dieses Wissen hatte ich auch 2009 noch vielen Ausländern voraus, die sich einfach nur über das Verhalten der Klos wunderten.
    Auf dem Weg nach Tokio stoppte ich noch einmal für einige
Stunden bei den Matsubaras. »Wie
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