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Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Tokio Total - Mein Leben als Langnase

Titel: Tokio Total - Mein Leben als Langnase
Autoren: Finn Mayer-Kuckuk
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Reisschale in der Hand dagesessen und sie mit offenem Mund angestarrt hatte. »Alles klar«, sagte ich. Die Phrase hatte ich bei Matsubaras oft gehört.
    Mein Zimmerchen war vom nächsten Gemeinschaftsraum nur durch eine Papierschiebewand abgetrennt. Das machte die Aufteilung flexibler. Aber deshalb waren auch alle Geräusche der Schülergruppe glasklar zu hören.
    Die Papierschiebewände funktionieren ausschließlich per gesellschaftlicher Übereinkunft, das hatte ich bei Matsubaras verstanden. Alle Japaner glauben fest daran, dass Papier auf Schiebewänden keine Geräusche durchlässt. Jemand mit japanischer Erziehung verhält sich also am nächsten Tag so, als ob es keine Geräusche gegeben habe. Ich benahm mich daher am nächsten Morgen vermutlich mal wieder völlig daneben, als ich die Oberschüler finster anstarrte. Auf der einen Seite hatte ein Junge die ganze Nacht mit einem krampfhaften Husten gekämpft, der dadurch noch schlimmer klang,
dass er ihn unterdrücken wollte. Auf der anderen Seite hatten die Mädchen bis in den Morgen gewispert und gekichert.

    In der nahe gelegenen Stadt Nagoya geriet ich in meinen ersten starken Taifun, und, Mensch, was hat es da geregnet! Als ich einen Bekannten von Kenji anrief, sagte dieser das geplante Treffen kurzerhand ab: »Bei so einem Wetter hat das keinen Sinn.«
    Diese Japaner sind aber ziemlich empfindlich, dachte ich. Die lassen sich schon von ein bisschen Regen beeindrucken. Wir Deutsche sind da aus einem anderen Holz geschnitzt!
    Taifune regnen Unmassen an Pazifikwasser über dem festen Land wieder ab. Ich hatte damals keine Vorstellung davon, was dann los ist.
    Ich fuhr vom Hotel mit der U-Bahn ins unterirdische Einkaufszentrum am Bahnhof und wunderte mich, dass dort so wenig Menschen herumliefen. Bei Regenwetter waren unterirdische Geschäfte doch genau die richtige Wahl. Oder? Mir fielen die gestressten Männer in Arbeitsuniformen auf, die Bretter umhertrugen.
    Mal sehen, wie es jetzt oben aussieht, dachte ich und näherte mich einer der Treppen, die zur Erdoberfläche hinaufführten. Die Geschäfte in der Nähe des Aufgangs hatten geschlossen und ihre Türen abgedichtet.
    Als ich auf der zweiten Stufe angekommen war, kam mir eine Sturzflut entgegen. Das Wasser lief nicht einfach von Stufe zu Stufe. Es ergoss sich weiß schäumend das Treppenhaus hinunter. Ich wurde sofort bis zum Knie nass. Eine Hand legte sich auf meine Schulter. Es war einer der Uniformierten,
der mich in die Sicherheit der inneren Gänge zurückwies. Die Männer begannen, den Eingang mit den Brettern zu verrammeln. Direkt am Fuß der Treppe gab es einen gut dimensionierten Gully, doch ich fragte mich, ob er all das Wasser abführen konnte. Er konnte nicht. In einiger Entfernung stand ich in dem Gang, als eine erste Welle meine Füße umspülte. Einer der Arbeiter machte eine scheuchende Bewegung in meine Richtung: Was steht der Touristen-Idiot denn hier unten rum, wenn oben 40 Millimeter Niederschlag pro Stunde runterkommen? Die Zahl von 40 Millimetern hatte ich morgens im Wetterbericht gehört, damit aber nichts anfangen können.
    Ich suchte den Übergang zur U-Bahn und fuhr ins Hotel zurück. Auf den Metern vom U-Bahn-Ausgang zur Drehtür der Herberge durchnässte mich eine heulende Mischung aus Wind und Wasser. Ich musste mich dem schräg entgegenstemmen, um nicht umgeweht zu werden. »Aber Herr Ausländer«, sagte die Frau an der Rezeption, »es ist unklug, bei Taifun aus dem Haus zu gehen.«
    Sie verwies mich aufs heiße Gemeinschaftsbad des Hotels, und immerhin das wusste ich nach meinen Erfahrungen in Kioto zu benutzen.

    Meine Reise führte mich auch in die Stadt Kanazawa. Das bedeutet »Goldmoor«, wie mir die Einheimischen erklärten. Auf dem Weg musste ich dabei bereits durch meine künftige Heimat gefahren sein, die Stadt Fukui, wo ich später ein Jahr studieren würde. Damals war dieser Ort für mich jedoch nur einer der vielen Haltebahnhöfe des Eilzugs.
    Die Jugendherberge in Kanazawa hatte erst wenige Wochen
zuvor eröffnet. Der Herbergsvater führte mich stolz in eines seiner makellosen Tatamizimmer. Ich hatte keine Reservierung, und es gab nur noch einen einzigen freien Platz - im Gemeinschaftsraum mit neun anderen Jugendlichen. Sie gehörten alle zu einer Gruppe von Nachwuchs-Kraftmenschen, denn in Kanazawa stand ein Jugendturnier der Sportart Sumo an. Ich teilte mir das Neunerzimmer also mit Jungen zwischen 15 und 18 Jahren, die alle schon richtig rund waren. Mit meinem
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