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Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag

Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag

Titel: Tokio Killer 01 - Der erste Auftrag
Autoren: Barry Eisler
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Diesellastwagen rumpelte mit knirschendem Getriebe über die Kreuzung, schwerfällig wie ein Schleppkahn auf einem verschlammten Fluss, und seine Megaphone plärrten scheppernd rechtsradikale, patriotische Lieder, die einen Moment lang die Klingeln übertönten, mit denen Radfahrer Fußgänger aus dem Weg scheuchten. Ein Straßenhändler mit schweißüberströmten Schläfen manövrierte einen Karren durch das Gedränge, auf seiner Zickzackroute folgte ihm der Geruch nach gegartem Fisch und Reis. Ein altersloser Obdachloser, vermutlich ein ehemaliger Sarariman, der Arbeit und Halt verloren hatte, als Ende der achtziger Jahre die Seifenblase weit überzogener Erwartungen an Wirtschaftswachstum und künftigen Wohlstand zerplatzte, saß an eine Straßenlaterne gelehnt und schlief, durch Alkohol und Verzweiflung abgehärtet gegen den Sturm um sich herum.
    So geht es Tag und Nacht an der großen Kreuzung am Ende der Dogenzaka, und in der Rushhour treten in dem Moment, wenn die Ampel grün wird, gleichzeitig über dreihundert Menschen auf die Straße, während weitere fünfundzwanzigtausend im Gedränge warten. Von nun an würde es Schulter an Schulter, Brust an Rücken weitergehen. Ich würde mich dicht hinter Kawamura halten, nicht mehr als fünf Meter Abstand zulassen. Das hieß, dass etwa zweihundert Menschen zwischen uns wären. Ich wusste, dass er eine Dauerkarte hatte und nicht zu den Fahrkartenautomaten musste. Harry und ich hatten unsere Fahrkarten schon im Voraus gekauft, damit wir ihm direkt durch die Kontrolle folgen konnten. Dabei hätte kein Kontrolleur etwas bemerkt. Zur Rushhour wurden sie von den Massen praktisch überrollt; man könnte ihnen alles hinhalten, wahrscheinlich auch eine Eintrittskarte für ein Baseballspiel.
    Die Ampel sprang um, und die Menschen stürmten aufeinander zu wie in einer Schlachtenszene aus einem Historienfilm. Ein unsichtbares Radar, das, so meine Überzeugung, nur die Tokioter besitzen, verhinderte eine Massenkollision mitten auf der Straße. Ich beobachtete Kawamura, der den Weg zum Bahnhof diagonal abkürzte, und schob mich hinter ihn. Als wir an dem Schalterhäuschen vorbeidrängten, waren fünf Personen zwischen uns. Jetzt musste ich dicht bei ihm bleiben. Wenn der Zug kam, würde das Chaos ausbrechen: Fünftausend Menschen wollten aussteigen, fünftausend Menschen in fünfzehn Reihen hintereinander wollten einsteigen, und alle versuchten, sich eine günstige Ausgangsposition zu verschaffen. Ausländer, die meinen, die japanische Gesellschaft sei besonders höflich, sind noch nie zur Stoßzeit mit der Yamanote-Ringbahn gefahren.
    Der Menschenstrom floss die Treppe hinauf und auf den Bahnsteig, und die Geräusche und Gerüche des Bahnhofs schienen unter den Leuten ein zusätzliches Gefühl von Dringlichkeit zu wecken. Wir trieben gegen den Strom derjenigen, die gerade aus dem Zug gestiegen waren, und als wir den Bahnsteig erreichten, schlossen sich die Türen bereits, klemmten Handtaschen und den ein oder anderen Ellbogen ein. Als wir den Kiosk auf halber Breite des Bahnsteigs passierten, war der letzte Wagen schon an uns vorbeigerauscht und einen Moment später verschwunden. Der nächste Zug würde in zwei Minuten eintreffen.
    Kawamura schlenderte zur Mitte des Bahnsteigs. Ich blieb hinter ihm, aber leicht versetzt, mit etwas Abstand zu den Gleisen. Er blickte den Bahnsteig hinauf und hinab, doch selbst wenn er Harry und mich schon vorher bemerkt hatte, würde es ihn nicht stutzig machen, uns jetzt hier zu sehen. Die Hälfte der Wartenden war zuvor auf der Dogenzaka gewesen.
    Ich spürte das Dröhnen des nahenden Zuges, als Harry an mir vorbeizog wie ein Kampfjet am Kontrollturm seines Flugzeugträgers und mit einem kaum merklichen Kopfnicken signalisierte, dass der Rest meine Sache war. Ich hatte ihm gesagt, ich bräuchte seine Hilfe nur, bis Kawamura im Zug war, der Punkt, an dem er sich auch bei unseren früheren Observierungen immer zurückgezogen hatte. Harry hatte wie üblich gute Arbeit geleistet, er hatte mir geholfen, dicht an die Zielperson heranzukommen, und unserem Drehbuch gemäß ging er jetzt von der Bühne. Ich würde mich später bei ihm melden, wenn ich die Soloaspekte des Jobs erledigt hatte.
    Harry hält mich für einen Privatdetektiv, und er denkt, ich würde unsere Zielpersonen nur beobachten und Informationen über sie sammeln. Um das Verdachtsmoment einer allzu hohen Mortalitätsrate unter den von uns beschatteten Personen auszuräumen, lasse ich ihn
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