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Töte, Bajazzo

Töte, Bajazzo

Titel: Töte, Bajazzo
Autoren: Jason Dark
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Halluzination, und sie hatte sich schließlich gefragt, ob sie überarbeitet war und ihr die Nerven einen Streich gespielt hatten.
    Beides durfte Mirella Dalera nicht von der Hand weisen. Sie war eine gefeierte Sängerin, die es sich leisten konnte, keinem festen Ensemble anzugehören. Sie gastierte in der ganzen Welt. In Rom ebenso wie in München oder Paris. Auch an der Met war sie bereits engagiert worden, und das schon mit knapp dreißig.
    Ihr Marktwert stieg.
    Damit verbunden waren auch der Streß und das andere Leben, das praktisch ohne feste Beziehungen oder Bindungen ablief. Proben, Vorstellungen, Hotels, das war wie ein Rausch, der sie als breiter Strom umgab und wieder forttrug.
    Schließlich hatte sie auch das Gesicht vergessen, denn neue Anforderungen nahmen sie voll und ganz in Anspruch.
    Mailand hatte sie gerufen.
    Die Scala!
    Ein Traum vieler Sänger. Mirella Dalera hatte ihn schon einige Male erleben dürfen, und sie war jedesmal von den Zuschauern gefeiert worden. Man hatte sie akzeptiert, und das war für einen Künstler gerade in Mailand wichtig, denn die Oper in Mailand stellte die Weichen für die Zukunft. Fiel man dort durch, sank auch der Marktwert, man raste in das Loch. Sie kannte Kollegen, die sich anschließend nie mehr richtig gefangen hatten und nur mehr über Provinzbühnen tingelten. Das Gewerbe war eben gnadenlos, es verzieh schlechte Leistungen nicht, doch Mirella konnte durchatmen, sogar jubeln, denn man hatte sie zum zweitenmal gerufen.
    Wieder sollte sie eine große Rolle singen.
    Es war die Nedda in der Oper ›Der Bajazzo‹. Eine tolle Partie, die nicht nur sängerische Anforderungen stellte, sondern auch schauspielerisches Talent erforderte. Eine echte Herausforderung, auch wenn diese Oper nur zu den kurzen Werken zählte, aber man mußte alles geben.
    Premiere im Herbst. Man hatte nur eine kurze Zeit für die Proben angesetzt. Zwei Wochen waren wenig, doch wer hier auftrat, mußte auch dieses Problem meistern.
    Es waren die besten der Besten. Bei diesen Sängern stimmte alles, zudem kannte man sich, wußte über Stärken und Schwächen der Partner genau Bescheid.
    Drei Proben hatte Mirella Dalera bereits hinter sich. Sie hatten sich hingezogen, und am Abend war sie froh gewesen, sich ins Hotel zurückziehen zu können. Das hatte in den ersten Tagen auch geklappt, später jedoch war die Presse erschienen. Die Reporter hatten sich Zeit gelassen und die ersten Proben abgewartet. Was dann kam, mußte ebenfalls durchstanden und durchlitten werden, denn PR gehörte nun mal zum Geschäft.
    In der Hotelhalle hatte die Dalera ihre Interviews gegeben und natürlich nicht vergessen zu sagen, wie stolz und glücklich sie darüber war, in Mailand zu sein.
    Eine Lüge, die ihr glatt über die Lippen rutschte. Tatsächlich haßte sie diese Stadt in der Lombardei, denn Mailand bedeutete oft genug Nebel und feuchtes Regenwetter. Bedeutete Chaos und Verkehr, war beliebt bei Schaumachern, die sich zumindest für den Nabel Italiens hielten, auch wenn sie im Verkehr erstickten.
    Mailand war nicht schön.
    Sie haßte Mailand, aber das konnte sie nicht sagen, denn die Reporter hätten sie fertiggemacht, für sie gab es keine wichtigere Stadt als Mailand.
    Was südlich von Mailand begann, war Diaspora, nur der Norden zählte, die Mitte konnte man leicht vergessen – Rom eingeschlossen – und den Süden erst recht.
    Dabei stammte Mirella Dalera aus dem Süden. Sie war ein Kind der Sonne und sogar südlich von Neapel geboren worden, in einem kleinen Dorf in Sichtweite des Meeres.
    Eine wunderbare Kindheit hatte sie gehabt, behütet, geborgen. Ihr Vater war der Bürgermeister des Ortes gewesen. Not hatten die Daleras nie durchleiden müssen.
    Und jetzt?
    Es war vorbei mit der Familie, den Freunden, der Ruhe, der herrlichen Landschaft und dem Meer. Die Sonnenauf- und Untergänge, die sie als Kind gar nicht so bewußt mitbekommen hatte, weil sie eben für sie natürlich gewesen waren, vermißte sie jetzt schon, und Mirella stellte sich immer öfter vor, daß sie am Strand saß und aufs Meer hinausschaute. Sie hatte sich fest vorgenommen, das alles im nächsten Jahr zu erleben. Da wollte sie in ihrer Heimat Urlaub machen und richtig ausspannen. Keine Hektik, keinen Streß, einfach nur leben und nicht auftreten zu müssen.
    Auch dieser Tag war wieder hart gewesen. Mirella kannte die Regeln, denn sie waren überall gleich. Relativ langsam begannen die Proben, aber sie steigerten sich, bis sie schließlich
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