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Tödliches Paradies

Tödliches Paradies

Titel: Tödliches Paradies
Autoren: Heinz G. Konsalik
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als Veterinär zur Seite stand. Und Helene Brandeis hatte nicht zwei, sie hatte fünfzehn Katzen!
    »Tim, ich wünschte, es wär' so.«
    »Was ist es dann?«
    »Ach, Tim …«
    Die ganze Helene Brandeis war ein Phänomen, ihre Stimme machte keine Ausnahme. Ein ziemlich rostiges Organ, und dabei trotzdem so volltönend wie das eines Opernbaritons. Die Heiserkeit darin kratzte die Worte nicht an, sie steigerte sie ins Dramatische und stammte von den Zigarillos, die Helene Brandeis trotz Tims Warnungen und ihrer fünfundsiebzig Jahre unbeirrt weiterrauchte.
    »Eine Frage, Tim: Was haben Sie heute vor?«
    »Ich? Wissen Sie doch …«
    »Stimmt, ja. Mittwoch.«
    »Richtig«, sagte Tim. »Mittwoch!«
    Er sah durch das Westfenster des Arbeitszimmers, und sein Blick wanderte hinauf zur Hügelkuppe. Dort, zwischen schwarzen, windzerzausten Tannen stand ein Haus, nein, mehr: eine Villa, eine Jugendstil-Villa, ein düsterer Akkord aus Türmchen, Zinnen, efeubewachsenen Erkern und pompöser Verlorenheit.
    Dort wohnte sie. Vielleicht starrte sie genauso herunter?
    Er hatte sich getäuscht …
    »Doktor! Weißt du, wo ich bin?«
    »Gleich wird's regnen«, sagte er zerstreut.
    Der Himmel wurde noch dunkler.
    »Das habe ich schon hinter mir.« Ein Schwanken war in ihrer Stimme, das er noch nie vernommen hatte: »Außerdem, hier regnet's noch immer. Friedhofswetter, wie man's im Kino sieht. Und auf dem Friedhof bin ich. Im Regen. Kennst du das, Doktor?«
    Er überlegte. Er kannte es. Es war noch gar nicht lange her, damals vor zwei Jahren … Das Wasser war ihm in den Kragen gelaufen, und die Erde, dieses kleine Häufchen Erde, das er über Klaus' Sarg gestreut hatte, war so klebrig gewesen, daß er es kaum von der Schaufel bekam. Nie hätte er gedacht, daß eine Studienfreundschaft so enden konnte … Doch die Brandeis? Wieso sie?
    Er blickte wieder durch das Fenster zum Himmel hoch. Grau. Alles grau. Eine Farbe wie nasser Granit mit Schwefelrändern. Was sollte das? Was sollte das Ganze? Wo war sie überhaupt?
    »Wo sind Sie denn, Helene?«
    »Wo ich bin? Ich rede doch schon die ganze Zeit davon. In München. Auf dem Nordfriedhof.«
    »Was tun Sie am Nordfriedhof?«
    »Was tut man hier schon?« Die Stimme, die gerade noch so energisch klang, zitterte wieder ein wenig: »Man geleitet jemand zu Grabe oder wie das heißt. Das habe ich gerade getan …«
    »So? Haben Sie?« Angestrengt überlegte Tim, ob nun ein ›Mein herzliches Beileid‹ angebracht wäre. Doch dann dachte er: ›Dein freier Mittwoch!‹ Sie am Nordfriedhof, eine Millionärin und Kugellager-Erbin, die irgendwelche Leute zu Grabe geleitet?!
    »Kannst du nicht herkommen?«
    »Wie bitte?«
    »Bring doch deine bezaubernde Melissa gleich mit.«
    Über dem Hirschberg flammte ein erstes Leuchten. Der Donner war nicht zu hören, das war noch zu weit. Oder doch, ja …
    »Meine Frau …«
    »Richtig.«
    »Wohin? Zum Nordfriedhof?«
    »Sieh mal, Tim, ich kapiere ja, daß das ein bißchen überraschend ist. Aber ich möchte es hinter mich bringen, wirklich. Und es wäre gut, wenn du deine bezaubernde Melissa gleich mitbringen würdest. Sie wird sich freuen.«
    »Ich fürchte«, brummte er in einem verzweifelten Anlauf, humorig zu sein, »die wird mir den Marsch blasen.«
    »Trotzdem, Tim – bitte!«
    »Ich will ja gerne alles tun, nur …«
    »Es ist so wichtig für mich. Und für euch. Nun glaube mir doch. Sieh mal: Ihr habt doch nächste Woche am Montag euren ersten Hochzeitstag? Und den wolltet ihr doch im Ausland feiern, stimmt's?«
    Tim nickte benommen. Er erinnerte sich nicht, darüber mit Helene Brandeis gesprochen zu haben. Oder doch? Vielleicht hatte Melissa es getan … Eine andere Erklärung gab es nicht.
    »Und?« fragte er vorsichtig.
    »Und? – Jetzt, wo Luise … Jedenfalls, ich habe eine Möglichkeit, eine großartige Idee, glaub' mir.«
    »Ich glaube ja.«
    »Es ist wirklich ein fabelhaftes Angebot. Du brauchst nur hierherzukommen, ja zu sagen, und du wirst den schönsten Hoch …«
    Die Stimme brach ab. War das nicht ein Schluchzen? Das Wort Hochzeitstag zu wiederholen, schien über ihre Kraft zu gehen. Tim schluckte. Hatte der alten Dame dieses Begräbnis derartig zugesetzt? Vielleicht hatte sie Fieber? Wäre ja kein Wunder bei dem Sauwetter.
    »Steig in dein Auto und komm!«
    »Zum Nordfriedhof?« wiederholte er wie ein Idiot.
    Friedhöfe …
    Birken, Buchen, Buchsbaum. Tannen und Trauerweiden, die ihre Zweige über Gräber hängen lassen. Drumherum die
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