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Tödliches Paradies

Tödliches Paradies

Titel: Tödliches Paradies
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Zigarillo klemmte – »dann Herr Doktor Tannert. Wissen Sie überhaupt, was das heißt, den ganzen Tag in so 'ner Praxis zu stehen? Besoffene Bauarbeiter oder verrückte alte Weiber wie mich zu behandeln? Sture Oberbayern, Schwangere, Alkoholiker, Drogenkranke und was weiß ich sonst noch?«
    Jetzt wurde es Tim entschieden zu viel. Er lehnte sich im Sessel zurück, streckte die langen Beine und verkündete: »Ich denk' ja nicht dran.«
    Zwei Augenpaare starrten ihn an: kornblumenblau und konsterniert das eine, milde verwirrt das andere.
    »Ich bin doch kein Postpaket! Und Melissa schon gar nicht. Man kann uns doch nicht einfach so durch die Gegend schicken.«
    Die alte Dame in Trauer hatte sich als erste gefaßt. Eine ihrer Brauen rutschte in die Stirn. Es war die rechte. »Bring mich bloß nicht aus dem Konzept, Doktor! Der Tag ist schlimm genug. Und überhaupt: Wer hat denn herumgestöhnt, daß er so gern zur Feier seines Hochzeitstages die ganze Hochzeit einschließlich Hochzeitsreise nachholen möchte, weil vor einem Jahr die Party ins Wasser fiel, da nämlich irgendwelche Drillinge oder sonst was alles versaut hatten. Wer denn, Tim? Du doch. – Und auch deine Melissa war ganz begeistert von der Idee. So. Und jetzt fliegt ihr nach Formentor. Etwas Schöneres, ja Fantastischeres gibt es gar nicht. Stimmt's, Herr Pichler.«
    »Ein wirkliches Traumhotel, gnädige Frau. Vielleicht das schönste in ganz Europa.«
    Ein Hotel also? – In Tims Schädel verwirrten sich Argumente, Wünsche und Gegenargumente zu einem dicken Knäuel: Ein Hotel namens Formentor?
    »Und wo liegt dieses Formentor?«
    »Ach, das hab' ich dir noch nicht gesagt? Auf Mallorca natürlich.«
    Natürlich. – Tim drehte den Kopf zum Fenster. Draußen goß es. Was heißt goß? Ein Wolkenbruch warf das Wasser gleich kübelweise gegen das Glas.
    Mallorca?!
    Sein Herz wurde weit, die Gedanken zogen südwärts. In diese Richtung zogen sie schon lange. Helene Brandeis hatte recht: Wie oft hatten Melissa und er davon geträumt, in irgendein Flugzeug zu steigen, einfach so – und ab! Über Länder und Breitengrade, irgendwohin, wo es keine Patienten und keine kassenärztlichen Vereinigungen gab, keine Krankenscheine und Steuererklärungen …
    Sein Mund wurde ganz trocken.
    »Moment mal, Herr Doktor.«
    Der freundliche Herr Pichler flüsterte etwas in seine Sprechanlage, schon öffnete sich die Tür, und herein schwebte eines dieser lächelnden hochgestylten Wunderwesen, die zu einem Etablissement solcher Art wohl gehören. »Rosi«, befahl Pichler, »gib dem Herrn mal den Formentor-Prospekt.«
    Tim blätterte. Papier knisterte in seiner Hand. Schweigen und Erwartung breiteten sich im Zimmer aus.
    »Toll!« müßte er jetzt wohl sagen. Das war es sicher auch. Hotel-Prospekte versprechen immer alles mögliche – der aber? Bilder zum Träumen. Gewaltige Betten, kostbare Vorhänge, die eine Aussicht umrahmten, die wiederum nur göttlich zu nennen war. Eine Bucht. Palmen. Weiße Segelboote. Berge.
    Und ganz schrecklich distinguierte Herrschaften in einem noch distinguierteren Speisesaal.
    »Na, was sagen Sie jetzt?«
    Ja, was sagte er jetzt? Gar nichts sagte Tim …
    Ein jüngerer Mann und eine ältere Dame fuhren durch den Abend, Richtung Süden … Sauerlach hatten sie hinter sich, schon kam die Abzweigung Tegernsee.
    Der Mann ließ den Wagen lässig dahingleiten, wie es zu der chromfunkelnden, antiquierten Vornehmheit paßte.
    Im Westen leuchtete noch ein roter Streifen aus den Regenwolken. Himbeersoße auf Haferpapp, dachte der Mann. Aber auch wie ein kleiner Hoffnungsschimmer … Mallorca, dachte er, nächste Woche! Eine Luxus-Suite nebst Swimmingpool. Im Formentor! Gottverflucht, was wird die Melissa da sagen?!
    »Ja nun, das Leben.« Die alte Dame seufzte tief hinter ihrem Trauerflor. »Ein bißchen komisch, was, Tim?«
    Tim nickte.
    »Ich hab' das Gefühl, sie sieht uns zu …«
    »Wer? Ihre Marie-Luise?«
    »Wer denn sonst?«
    »Vielleicht fährt sie mit?«
    Helene Brandeis warf einen raschen Blick über die Schulter zurück zur Sitzbank, nicht gerade erschrocken, aber ziemlich wachsam. »Könnte ja sein. Warum nicht? Sie glaubte immer an die Wiedergeburt und solches esoterische Zeug. Aber auf das Wiedergeborenwerden muß sie wohl noch ein bißchen warten … Dabei hätte ich ihr so eine Hochzeitsreise noch in diesem Leben gewünscht.«
    »Wie war's denn bei Ihnen mit der Hochzeitsreise?«
    Sie lachte ihr Helene-Brandeis-Lachen, leise, rauh, aus
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