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Tödliches Orakel

Tödliches Orakel

Titel: Tödliches Orakel
Autoren: Tina Sabalat
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muss man feiern, wie sie fallen«, sagte er schwach.
    Ich starrte ihn an, er hielt meinem Blick noch ein paar Sekunden stand und senkte den seinen dann auf die Karte. Genierte er sich? Ich drückte einige Tasten, holte mir sein Gesicht näher, bis es den ganzen Bildschirm ausfüllte. Ja, er schämte sich. Ein zartroter Schimmer ließ seine Wangen leuchten, und Sam sah damit auf einmal nicht mehr so beneidenswert kühl aus. Während ich die seltene Gelegenheit genoss, ohne Übelkeit einem absolut attraktiven jungen Mann aus dieser Nähe ins Gesicht schauen zu können, sah Sam mich erneut an: Seine Augen waren Türkisblau und hatten jetzt einen 'Verzeih mir'-Ausdruck, der derart an den Blick von Frau Bergers Dackel erinnerte, dass ich lachen musste. Lauthals. Das war mir noch nie passiert, doch dies war auch die absurdeste Situation, die ich jemals erlebt hatte. Die Leute erwarteten alles Mögliche von mir, kamen mit den abstrusesten Vorstellungen und Ideen – aber das? Das war neu.
    »Es tut mir leid«, versuchte Sam zu retten, was zu retten war. »Als ich Sie gesehen habe, und den Raum hier, habe ich mir schon gedacht, dass ich da ein bisschen falsch geraten habe. Sie sehen nicht aus, als ...« Er brach ab.
    »Wie sehe ich denn aus?«, stellte ich eine absolut ungewohnte Frage in einem angriffslustigen Tonfall, er bemühte wieder seine Schultern.
    »Sie sind schön«, sagte er, und das war nicht die Antwort, mit der ich gerechnet hatte. »Nicht hübsch oder attraktiv, einfach ... schön. Sie könnten Ihr Geld sicher anders verdienen.«
    »Wie denn zum Beispiel?«
    Jetzt lachte Sam, hob dabei abwehrend die Hand.
    »Kein Kommentar, ich habe mich schon tief genug reingeritten. Verraten Sie mir einfach, was Sie hier machen. Wofür Sie eine solche Gebühr verlangen. Ich gehe nicht davon aus, dass Sie die Fußpflegerin sind und es auf meine Hühneraugen abgesehen haben.«
    Nein, das war ich nicht. Das war Frau Berger, zumindest auf dem Papier. Sie hatte ein schickes Geschäftsschild neben ihrer Klingel, das ihre angeblichen Dienste anpries, aber keine Kunden. Ich dagegen hatte Kunden, wollte aber kein Geschäftsschild, und so versteckte sich das eine hinter dem anderen und das andere hinter dem einen. Warum und wieso, ging niemanden etwas an.
    Also schüttelte ich nur den Kopf, zoomte wieder von Sam weg und setzte mein beruhigendes Lächeln aus der Retorte auf.
    »Richtig«, sagte ich, »die Fußpflegerin bin ich nicht. Was ich tue, ist ganz einfach: Ich sehe Ihre Zukunft und beantworte Ihnen dazu genau eine Frage. Eine Frage Ihrer Wahl.«
    »Meine Zukunft?«, fragte Sam, ich nickte.
    »Ja.«
    »Wie?«
    »Ich bin eine Haruspica. Haruspica ist die weibliche Form von Haruspex.«
    »Aha.«
    Ein fragendes Aha, kein Begreifendes, daher hakte ich nach.
    »Wissen Sie, was das ist? Was das Wort bedeutet?«
    »Nein. Aber es klingt … nicht besonders schön.«
    Ich beschloss, Sam diesmal ein wenig Nachhilfe zu geben – auf Kosten seiner unerbittlich vor sich hintickenden, bezahlten Zeit.
    »Das Wort stammt aus dem Lateinischen und setzt sich aus zwei Teilen zusammen: 'Haru', für Eingeweide und 'spec', die Verbalwurzel für Sehen. Eine Haruspica oder ein Haruspex las im alten Rom aus den Eingeweiden eines getöteten Opfertieres die Zukunft.«
    Sam schnappte nach Luft, das eben noch so schamfrisch in seinen Wangen glühende Blut verschwand, seine Haut wurde wieder hell. Nein, nicht nur hell: blass geradezu. Er schien ein empfindsames Gemüt zu besitzen, wenn die bloße Erwähnung eines Tieropfers ihn so traf.
    »Wird Ihnen übel? Trinken Sie einen Schluck Wasser.«
    »Ich ...« Er beachtete das Glas nicht, starrte mich nur an. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie in einem toten Tier rumwühlen. Das machen Sie nicht, oder? Sie wollen hier doch kein Tier töten?«
    »Nein.«
    Sein Ausdruck blieb misstrauisch. »Haben Sie das Tier schon getötet? Sitzen Sie da nebenan bei einem toten Tier?«
    »Nein. Sehe ich aus, als würde ich Tiere töten?«
    Sam warf mir einen prüfenden Blick aus schmalen Augen zu, dann schüttelte er den Kopf.
    »Sie müssen lernen, besser zuzuhören«, rügte ich ihn milde. »Als ich das Opfertier erwähnte, war das in geschichtlichem Zusammenhang: Ich sagte, dass eine Haruspica das im alten Rom getan habe.«
    »Okay.«
    »Ich sagte nicht, dass ich das tue, getan habe oder tun werde.« Meine Stimme klang warm und wahrhaftig, sollte ihn beruhigen.
    »Gut.« Sam klang erleichtert, ein tiefer Atemzug weitete
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