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Toedliches Fieber

Toedliches Fieber

Titel: Toedliches Fieber
Autoren: Dee Shulman
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sah mich an.
    »Ich weiß … dass du es schön findest, nachts dem Regen zuzuhören. Und dass du einen Mann wieder zum Leben erwecken kannst, indem du singst … Ich weiß, dass du fünf kleine Sommersprossen auf der Schulter hast und dir beim Nachdenken auf die Lippe beißt. Ich weiß, dass du Angsthast, um einen Gefallen zu bitten, obwohl du mutig bist wie ein Krieger. Ich weiß, dass du in der Kniekehle eine kleine Narbe hast und außerordentlich gefährliche Augen …«
    »Gefährliche Augen?«
    »Sie hätten einmal beinahe meinen Tod bedeutet …«
    »Na, klar!« Ich lachte.
    Seth blieb ernst. »Ich weiß, dass du sehr gut Latein sprichst, sogar noch besser als Griechisch … und dass du keine Ahnung hast, wie schön du bist. Und jetzt … iss dein Croissant, ehe es kalt wird.«
    Ich blieb noch einen Augenblick lang still sitzen, um das alles zu verarbeiten. Als ich merkte, dass ich mir dabei auf die Lippe biss, verdrehte ich die Augen und lächelte Seth an. Dann teilte ich das Croissant und gab ihm eine Hälfte ab. Beim Essen beobachtete ich ihn. Er dagegen wollte mich nicht ansehen, sondern schaute angestrengt aus dem Fenster.
    Nachdem ich die letzten Krümel in die Papiertüte geschnipst hatte, knüllte ich sie zusammen, warf das Bällchen zum Mülleimer … und verfehlte ihn. Seth lächelte, hob es auf und legte einen perfekten Wurf hin.
    »Seth«, fragte ich leise. »Wo haben wir uns kennengelernt?«
    Er legte den Kopf schief, sah mir in die Augen und antwortete: »In Londinium. 152 nach Christus. In der Arena.«
    Ich wollte lachen, aber als ich ihn ansah, blieb es mir im Hals stecken.
    Ich starrte Seth an. Warum tat er das? Es war nicht mehr lustig. Vor Wut stiegen mir Tränen in die Augen und ich kaute heftig auf meiner Lippe, um nicht loszuheulen. Eigentlichdachte ich mittlerweile, er hätte mich gern, doch jetzt spielte er mit mir und machte sich über meine Verwirrung lustig. Blöder Jungsscherz. Wieso hatte ich ihm vertraut? Warum hatte ich ihn an mich rangelassen? Vor Zorn ballte ich die Hände zu Fäusten – was aufgrund der Kanüle keine gute Idee war. »Aua«, jammerte ich, als Blut unter dem Pflaster hervorkam.
    Mit einem tiefen Seufzer legte Seth eine Hand darauf. Auf einmal erschien ein ganz anderes Bild in meinem Kopf: Ein halb nackter Seth kauerte blutend im Sand; ein riesiger Mann beugte sich über ihn …
    »Protix«, keuchte ich. Wie aus dem Nichts war mir dieser Name eingefallen.
    Dann verschwand die Vision und ich war wieder im Krankenhaus, wo mich Seth mit aufgerissenen Augen anstarrte.
    »Du erinnerst dich!«, flüsterte er.
    Ich legte den Kopf aufs Kissen und schloss die Augen. Was war hier los? Seth strich mir übers Gesicht und begann leise zu erzählen.
    »Du warst da, um mich kämpfen zu sehen …«
    Und tatsächlich sitze ich auf einem violetten Seidenkissen auf einer Tribüne aus Stein, die eine große runde Sandfläche umschließt. Um mich herum lärmen unglaublich viele Leute.
    »Eine Dattel, Livia?« Meine Sitznachbarin reicht mir einen Korb mit Früchten.
    »Vielen Dank, Tavinia«, höre ich mich selbst sagen.
    Ich suche mir eine Dattel aus. Mein schwerer goldener Armreif funkelt im Sonnenschein. Das sieht schön aus. Ichhebe den Blick wieder und lasse ihn durch die sandige Arena schweifen. Mir ist schlecht, ich möchte nicht zuschauen, wie sie kämpfen, und doch muss ich dabei sein.
    Als ich den Blick wieder senke, frage ich mich, ob ich nicht einen großen Fehler gemacht habe. Meine Hände liegen reglos auf dem langen weißen Kleid. Ich streiche über den golden gesäumten Stoff – er ist weich und schön.
    Plötzlich erklingt Musik und die Zuschauer jubeln. Ich werde nervös. Dann werden die Holztore geöffnet und sie stürzen in die Arena: die Gladiatoren. Seth kommt als Fünfter durchs Tor. Oh mein Gott, wie gut er aussieht! Auch Tavinia neben mir holt scharf Luft und ich sehe ihr an, dass sie Seth ebenfalls beobachtet. Überall um mich herum flüstern aufgeregte Frauen seinen Namen. In diesem Meer aus Frauen, die alle denselben Mann begehren, fühle ich mich verloren.
    Er ist sich dessen anscheinend nicht bewusst. Bis auf den Schulterschirm und die lederne Halbtunika ist er nackt, doch er schreitet wie ein Prinz mit angespannten Muskeln, hoch erhobenem Kopf und breiter Brust durch den Sand. Ich muss ihn immerzu ansehen. Die Gladiatoren bleiben stehen, um sich vor dem Statthalter Cnaeus Papirius Aelianus zu verbeugen. Danach begrüßen sie einer nach dem anderen
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