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Toedliches Fieber

Toedliches Fieber

Titel: Toedliches Fieber
Autoren: Dee Shulman
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mit sechzehn schon so am Ende zu sein.
    Allerdings hatte ich überhaupt keine Lust, über mein Leben nachzudenken oder darüber, wie es so weit hatte kommen können. Ich musste einfach weiterlaufen und das Ganzeverdrängen. Doch mein Gehirn hörte nicht auf, in alle möglichen Richtungen zu denken.
    Mein Gehirn.
    Mein Gehirn war definitiv der Grund für meine Probleme. Wie oft hatte ich mir schon gewünscht, ich wäre ganz normal. Doch war ich jemals normal gewesen? Oder glücklich? So wie die anderen Kinder?
    Meine Erinnerung reichte nur bis in die Zeit zurück, als es anfing, schwierig zu werden … als ich begriff, dass eine Begabung auch ein Fluch sein konnte.
    Wie alt war ich da? Vielleicht sechs. Mein Vater war damals schon tot, seit einem Jahr ungefähr … Und auch wenn Mum nach Monaten endlich aufgehört hatte, die ganze Zeit zu weinen, hielt sich ihr Interesse an mir in Grenzen. Also blieb ich die meiste Zeit mir selbst überlassen.
    An jenem Tag lief wie immer der Fernseher – Mum hatte mir die Fernbedienung in die Hand gedrückt und befohlen, da sitzen zu bleiben. Doch ich hatte keine Lust mehr fernzusehen. Ich hatte alles gelesen, was es im Haus gab (gut – so viele Bücher besaß sie nicht), und langweilte mich.
    Durchs Fenster entdeckte ich Mum, die mit geschlossenen Augen im Liegestuhl lag. Ich weiß noch, dass ich das Gesicht an die Scheibe drückte, damit sie die Augen aufschlug und mich ansah. Doch das tat sie natürlich nicht. Als ich mich widerstrebend abwandte, bemerkte ich ihren Laptop, der aufgeklappt auf dem Tisch stand. Ich drückte eine Taste und er leuchtete auf. Mum hatte Wein bestellt und vergessen, sich auszuloggen. Wein war für eine Sechsjährige nicht sonderlich interessant, doch ich hatte zugesehen, wie meine Mutterauf der Tastatur tippte, und verstanden, wie es funktionierte. Wie sich herausstellte, hatte ich auch ziemlich viel von dem, was sie getippt hatte, in meinem fotografischen Gedächtnis gespeichert: zum Beispiel ihre Bankdaten, ihre PIN-Nummer und ihr Passwort. In den nächsten Stunden unternahm ich einen eigenen Großeinkauf.
    Ich war begeistert, als Tage später fünfundzwanzig Packungen mit Süßigkeiten, hundert Flaschen Limonade, ein Labradorwelpe und drei siamesische Kätzchen geliefert wurden. Meine Mutter war weniger entzückt. Obwohl ich mich freudig zu meinem Einkauf bekannte, glaubte sie mir nicht, sondern sah sich als Opfer eines irgendwie gearteten Passwortdiebstahls.
    Da ich nichts von dem, was ich gekauft hatte, behalten durfte, probierte ich es nicht noch mal. Doch ich hatte eine wunderbare neue Welt entdeckt, über die ich die totale Kontrolle ausübte. Für ein kleines, einsames und machtloses Kind war das der reine Wahnsinn.
    Mit acht konnte ich mich durch die meisten Verschlüsselungen und Firewalls hacken, und auch wenn mich niemand verdächtigte, war ich so schlau, meine Spuren gut zu verwischen. Mir war schon klar, dass diese Beschäftigung nicht ganz rechtens war. Doch meine Beweggründe waren unschuldig, es machte mir einfach Spaß, Codes zu knacken  – das faszinierte mich, ohne dass ich mich für die Geheimnisse, Daten oder finanziellen Hintergründe der Leute interessierte. Es gab mir einen Kick, verschlossene Türen zu öffnen.
    Ich muss wohl kaum erwähnen, dass ich im Umgang mit anderen Achtjährigen weniger begabt war. Mit Barbies konnteich nichts anfangen. Die Vorstellung, Freunde zu haben, gefiel mir gut, ja ich sehnte mich nach Freunden. Doch ich konnte nicht gut genug so tun, als wäre ich normal. Ich verstand nicht, warum die Kinder etwas dagegen hatten, dass ich den Ausgang irgendeines Spielplatzspiels mathematisch vorhersagte, ehe sie auch nur begonnen hatten. Ebenso wenig kapierte ich, dass es bei Memory genau darum ging, sich nicht an alle Bilder zu erinnern. Es dauerte nicht lange, bis ich nicht mehr mitspielen durfte.
    Die Schule war das Schrecklichste. Stundenlang dazusitzen und sich Vorträge über veraltete Fakten und überflüssige Theorien anzuhören. Und zu Hause war es auch nicht besser … Colin ertrug mich gerade noch, doch Ted hasste mich von Tag zu Tag mehr.
    Tausendmal hatte ich erwogen wegzulaufen, aber ich wusste nicht genau, wie. Deshalb begnügte ich mich jahrelang mit einer Art virtueller Flucht. Ich konnte jeden Computer mit illegal heruntergeladenen Spielen ausstatten und fand großen Trost darin, jemand anderer zu werden, jemand mit Macht, der massenhaft virtuelle Feinde vernichten konnte. Die Spiele
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