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Tödliche Täuschung

Tödliche Täuschung

Titel: Tödliche Täuschung
Autoren: Anne Perry
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treffen!«
    Melville saß aufrecht auf dem Stuhl Rathbone gegenüber, den Rücken durchgedrückt. Er besaß kräftige Hände und auffällig kurze Nägel, als hätte er die Gewohnheit, sie bisweilen abzukauen.
    »Ich habe versucht zu erklären, dass ich nichts dergleichen im Sinn gehabt hätte«, fuhr er fort und biss sich auf die Lippen.
    »Aber wie soll man so etwas sagen, ohne abscheulich verletzend zu erscheinen, ja geradezu beleidigend? Wie soll ich in Worte fassen, dass ich keine derartigen Gefühle für Miss Lambert hege, ohne sie zu kränken?« Er hob die Stimme. »Und doch habe ich, so weit ich mich erinnere, nie etwas gesagt, das darauf hätte schließen lassen… das sie auf den Gedanken hätte bringen können… Ich habe mir das Gehirn zermartert, Sir Oliver, bis ich überhaupt nicht mehr wusste, was ich gesagt habe und was nicht. Ich weiß nur, dass in der Times eine Anzeige geschaltet wurde, dass das Datum festgelegt ist und ich bei der ganzen Angelegenheit überhaupt nichts zu sagen hatte.« Sein Gesicht war bleich, bis auf zwei rote Flecken auf den Wangen. »Es war geradeso, als sei ich nur eine Kulisse mitten auf einer Bühne, und der ganze Tanz dreht sich um mich, aber ich kann absolut nichts tun, um Einfluss auf das Geschehen zu nehmen. Und irgendwann wird die Musik aufhören, und sie werden erwarten, dass ich meine Rolle spiele und alle glücklich mache. Aber ich kann es nicht!« Seine Stimme war voller Verzweiflung.
    Rathbone hatte Mitleid mit dem jungen Mann.
    »Hat Miss Lambert eine Ahnung von Ihren Gefühlen?«, fragte er.
    Melville hob kaum merklich die Schultern.
    »Ich weiß nicht, ich glaube nicht. Sie ist… Sie ist vollkommen beschäftigt mit den Hochzeitsvorbereitungen.
    Manchmal sehe ich sie an, und dann scheint es mir, als sei das Ganze vollkommen unwirklich für sie. Es ist die Hochzeitsfeier selbst, die diese gewaltigen Vorbereitungen ausgelöst hat, das Kleid, das Hochzeitsfrühstück, die Frage, wer eingeladen werden soll und wer nicht, was die vornehme Gesellschaft davon halten wird.«
    Rathbone lächelte unwillkürlich. Er verfügte selbst über eine gewisse Erfahrung mit jenen Matronen der Gesellschaft, die erfolgreich eine Tochter verheiraten und damit den Neid und den Verdruss ihrer Freundinnen erregt hatten. Der äußere Anschein war dabei bei weitem wichtiger als die Sache selbst.
    Diese Frauen hatten längst aufgehört, darüber nachzudenken, ob die Braut glücklich war, ja, es interessierte sie nicht einmal, was die Braut selbst wollte.
    Dann hatte er plötzlich die Befürchtung, Melville könne auf den Gedanken kommen, dass er über ihn lachte, was ganz und gar nicht der Fall war. Er beugte sich vor.
    »Ich verstehe Ihre schwierige Lage, Mr. Melville. Es ist äußerst unangenehm, das Gefühl zu haben, manipuliert zu werden, das Gefühl, dass niemand auf einen hört oder die eigenen Wünsche in Betracht zieht. Andererseits weiß ich von einigen meiner Freunde, die selbst verheiratet sind, dass solche Gefühle vor der Zeremonie selbst nicht ungewöhnlich sind. Der Bräutigam scheint kaum mehr als ein notwendiger Teil der Bühnenausstattung zu sein, statt einer der Hauptdarsteller des Stücks. Aber das wird sich ändern, sobald der Tag selbst vorüber ist.«
    »Ich habe keine Angst vor dem Tag, Sir Oliver«, antwortete Melville ruhig, obwohl ihn das offensic htlich große Mühe kostete. »Auch ärgert es mich nicht, dass ich an den Rand des Geschehens geschoben werde, statt in dessen Mittelpunkt zu stehen. Ich kann einfach nicht…« Es schien ihm schwer zu fallen, die Worte über die Lippen zu bringen, »ich kann es nicht ertragen… mit Zillah verheiratet zu werden… mit Miss Lambert. Ich habe nicht den Wunsch, überhaupt irgendjemanden zu heiraten. Falls sich das eines Tages ändern sollte, dann werde ich meine eigene Wahl treffen und nicht eine Ehe eingehen, die andere für mich arrangiert haben. Ich…« Jetzt schwang eine Spur echter Panik in seiner Stimme mit, und seine Knöchel traten weiß hervor, als er die Stuhlkanten fest umklammerte.
    »Ich habe das Gefühl, in der Falle zu sitzen!«
    Rathbone sah ihm an, dass er die Wahrhe it sagte.
    »Ich nehme an, Sie haben alles in Ihrer Macht Stehende getan, um aus dem Kontrakt herauszukommen…«
    »Es hat überhaupt keinen Kontrakt gegeben!«, fiel Melville ihm ins Wort. »Es hat lediglich eine Unterstellung gegeben, deren ich mir nicht früh genug bewusst geworden bin, um sie mit einem Mindestmaß an Würde
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