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Tödliche Option

Tödliche Option

Titel: Tödliche Option
Autoren: Annette Meyers
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Rücken zu Wetzon
beugte er sich über den Ehrentisch und versuchte offenbar, von Goldie Barnes
angehört zu werden. Jeder versuchte, mit Goldie Barnes zu sprechen, so schien
es, denn die sich vor ihm drängelnden Firmenangehörigen versperrten Wetzon
beinahe die Sicht auf ihn. Goldie Barnes gehörte zum zweiten Establishment
(wenn man die Morgans, die Schiffs, die Lehmans und die Loebs und ihresgleichen
als erstes Establishment betrachtete) an der Wall Street, ebenso wie Sandy
Weill, der die Seele von Shearson war, der verstorbene Sy Lewis, der Bear von
Bear Stearns, Nate Gancher von Oppenheimer und Don Regan, der Merrill Lynch ins
zwanzigste Jahrhundert gebracht und in Reagans Weißem Haus Schiffbruch erlitten
hatte. Alles Männer, die dem privaten vornehmen Klub der alten Wall Street die
Sache aus der Hand genommen hatten und damit gut gefahren waren. Sie hatten
sich aggressiv hineingedrängt, und der Wandel im Geschäftsstil, der große
Umfang, der zu einem heillosen Durcheinander bei Transaktionen führte, und
schließlich die finanziellen Rückschläge in den Siebzigern bereiteten ihnen den
Weg, die Führung an der Wall Street zu übernehmen. Dieser Wandel, der gegen
Ende der Vierziger begonnen hatte, nach dem Krieg, erreichte 1981 einen
Höhepunkt, als Sandy Weill Shearson Hammill, Hayden Stone, Faulkner, Dawkins
& Sullivan, Loeb Rhoades, Hornblower Weeks, Noyes & Trask an
American Express verkaufte.
    Am Ehrentisch setzte sich das Walroß, das Wetzon
vor der Herrentoilette gesehen hatte, neben Goldie Barnes und beobachtete jede
Geste von Chris mit höflicher Miene und scharfen Augen. Seine Lippen bewegten
sich, doch Wetzon war die Sicht durch eine zum Blumenschmuck auf dem Tisch gehörende,
gewaltige rosa Pfingstrose verstellt. Zwischen Goldie und dem dicken Mann stand
Ellie Kaplan, die größte Produzentin bei Luwisher Brothers. Ellies vorzeitig
ergrautes Haar, zu einem dicken Pony gefönt, fiel über ihr Gesicht. Sie trug
ein langes, silbrig glitzerndes Kleid mit einem runden Ausschnitt, der den
Brustansatz dezent andeutete. Goldie hob die Hand und tätschelte Ellies Wange.
Sie war die erste Börsenmaklerin gewesen, die Luwisher Brothers einstellte, und
Goldie hatte sich für sie stark gemacht. Ellie wandte sich mit geschürzten
Lippen an den dicken Mann. Sie schien etwas Spöttisches zu sagen. Der dicke
Mann nahm ein Naseninhaliergerät aus einer Innentasche und atmete tief ein,
erst mit einem Nasenloch, dann mit den andern, ohne auf Ellie zu achten. Als
sie vom Tisch zurücktrat, nahmen Hoffritz und Bird schnell ihren Platz ein.
Hoffritz mit seinem schmierigen Lächeln schob die Drinks von der Tischkante weg
und drängte sich an Goldie. Bird legte einen Arm um Goldies Schulter. Goldie
schüttelte ihn ab. Die alte Ordnung veränderte sich also erneut. Goldie Barnes
hatte die muffige, verstaubte hundertjährige Firma Luwisher Brothers als
Konkurrenten um die fetten Börsendollars in Dividendenpapieren ins Feld
geführt. Er war eine Legende, und an der Wall Street ging das Gerücht, daß
Search und Destroy versuchten, ihn hinauszudrängen.
    Wetzon blickte zu Smith’ Tisch hinüber. Smith
unterhielt sich angeregt mit einem attraktiven weißhaarigen Mann, der Felix Rohatyn
ziemlich ähnlich sah. Man konnte sich auf Smith verlassen, daß sie den einen
Mann in der Finanzwelt fand, den Wetzon für sexy hielt.
    Oben am Ehrentisch war Goldie auf seinem Stuhl
herumgerutscht, so daß Wetzon ihn jetzt voll im Blick hatte. Er war ein Riese
im maßgeschneiderten Smoking mit einem prachtvollen weißblonden Schopf, der von
der Sonne streifig gebleicht und wie eine Mähne straff nach hinten gekämmt war.
Er sah von Kopf bis Fuß wie der goldene Löwe aus, der Name, unter dem man ihn
an der Wall Street kannte, und ganz und gar nicht nach den amtlichen
fünfundsechzig Jahren. Goldie stand auf und beugte sich mit einem Glas Bourbon
in der Hand vor, um mit Chris zu sprechen. Während sie ihn beobachtete, sah sie
Chris erstarren, wie von einem Schock. Der Löwe schüttelte die Mähne. Ein
kleines Lächeln verzerrte sein fleischiges Gesicht und endete, ganz ähnlich wie
beim MGM-Löwen, mit einem Grollen.
    Den ungeheuer dicken Mann neben dem Löwen schien
der Wortwechsel außerordentlich zu amüsieren. Goldie setzte sein Glas ab. Chris
machte eine ausholende Armbewegung, als wollte er seine Rede unterstreichen,
und warf dabei mehrere Gläser um, darunter Goldies Bourbon und einen
Wasserbecher. Der dicke Mann wuchtete sich
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