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Toedliche Intrige

Toedliche Intrige

Titel: Toedliche Intrige
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auf, reicht mir das Essenstablett herein und schließt die Tür wieder. Ich weiß nicht einmal, wie er heißt.
    Ich weiß, dass einer von ihnen Finnur heißt. Er istbeinahe gesprächig, wenn er mich zum Verhör bringt. Dann ist da noch Guðlaug. Ich hatte nie darüber nachgedacht, dass es auch weibliche Gefängniswärter gibt. Wer denkt schon über Gefängnisaufseher nach? Sie erzählte mir von ihren beiden Kindern. Sie sagte mir auch, dass es den Aufsehern untersagt sei, sich mit mir oder den anderen Untersuchungshäftlingen zu unterhalten. Guðlaug hielt sich nicht daran. Wenn sie an der Tür vorbeigeht, klacken ihre Clogs, klick-klack, klick-klack. Ich zähle die Klick-klacks. Es sind achtundsechzig Schritte vom ersten Klick bis zum letzten Klack.
    Guðlaug erzählte mir von einem Mann, der in Untersuchungshaft gewesen war, ohne dass er sich irgendetwas hatte zuschulden kommen lassen. Sie hielten ihn sieben Wochen lang fest. Als er herauskam, war er imstande, seine Arme exakt so weit auszustrecken, dass er von Hand zu Hand genau einen Meter umspannte, keinen Millimeter mehr oder weniger. Er war auch imstande, präzise sechzig Sekunden lang den Mund zu halten, auf die Zehntelsekunde genau.
    Ich hatte immer in dem Glauben gelebt, das Untersuchungsgefängnis sei in Reykjavik, aber es befindet sich de facto in Litla-Hraun. Ich bin in Litla-Hraun. Was für ein grauenvoller Gedanke.
    Ich denke an meine Familie. Was meine Mutter wohl über mich denkt. All die Sorgen, die ich ihr bereitet habe. Nicht nur wegen dieser Sache, sondern überhaupt. Und die Reaktion meines Bruders. Wir haben kein gutes Verhältnis zueinander. Ob er wohl aus Englandeingeflogen ist? Mein Rechtsanwalt behauptet, er hätte vor zu kommen, aber wenn das stimmt, wäre er doch bereits da. Was hätte mein Vater gesagt? Ich überlege auch, was in den Medien berichtet wird, obwohl es eigentlich nicht wichtig ist. Es ist lange her, dass ihnen ein solch fetter Brocken vorgesetzt wurde. Dieser Fall ist angeblich einmalig. Eine derart vorsätzliche Planung hatte es hierzulande fast noch nie gegeben.
    Ich weiß es nicht. Wie gesagt, mit Verbrechen kenne ich mich nicht aus.
    Ich verbringe die Zeit damit, zurückzudenken.
    An Bettý zu denken.
    *
    Mein Vortrag war der letzte an jenem Tag, und sie lud mich zu einer Tasse Kaffee ein. Ich schaute auf die Uhr, um es so aussehen zu lassen, als hätte ich anderes und Wichtigeres zu tun, aber sie schien irgendwie zu spüren, dass im Büro gar nichts auf mich wartete. Ich suchte nach einer Ausrede, aber auf die Schnelle fiel mir nichts ein, deswegen nickte ich zustimmend. Bestimmt hatte sie mein Zögern bemerkt, anders konnte man ihr Lächeln nicht interpretieren. Sie gab nicht auf. Sie drängte sich auf, ohne unhöflich zu sein. Stand vor mir, lächelte und wartete darauf, dass ich sagte: In Ordnung.
    »In Ordnung«, sagte ich. »Vielleicht eine halbe Tasse.«
    Sie war es gewohnt, dass die Leute »in Ordnung« zu ihr sagten.
    Wir gingen zum Hotel Saga hinüber. Man kannte sie dort. Sie erklärte mir, dass Reeder aus den anderen Landesteilen, die etwas auf sich hielten, im Hotel Saga übernachteten. Der Service dort sei am besten. Das war auch nicht übertrieben. Die Kellner scharwenzelten um uns herum. Es ging auf den Abend zu, sie bestellte Kaffee, dazu einen guten Likör und ein kleines Stück Schokoladentorte. Sie brachten die Sachen und stellten sie vor uns auf den Tisch, ohne dass man überhaupt merkte, dass serviert wurde.
    »Soll ich es auf die Zimmernummer setzen?«, fragte der Oberkellner. Er rieb sich die Hände, und ich sah, dass es eine völlig unbewusste Bewegung war.
    »Ja, vielen Dank«, erwiderte sie.
    »Wir besitzen auch ein Haus in Reykjavik«, sagte sie zu mir, »es wird gerade renoviert. Im Þingholt-Viertel. Mein Mann hat es vor zwei Jahren gekauft, aber wir sind noch nicht eingezogen. Er hat mit dem Gedanken gespielt, ob er es abreißen und ein neues auf das Grundstück setzen lassen soll, aber dann hat er sich die Ideen des Innenarchitekten angeschaut und ...«
    Ihr Achselzucken gab zu verstehen, dass es keine Rolle für sie spielte, ob das Haus stünde oder fiele.
    »Mmmh ...«, murmelte ich mit der köstlichen Schokoladentorte im Mund.
    Ich dachte an meine kleine Wohnung. Meine Kommilitonen hatten nach dem Jurastudium sofort ein eigenes Haus bezogen. Sie besaßen große, teure Autos, fuhren zum Skiurlaub nach Österreich, zum Badeurlaub nachItalien und zum Shopping nach London. Vielleicht
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