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Todesrosen

Todesrosen

Titel: Todesrosen
Autoren: Arnaldur Indridason
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bis sein Ohr fast die Lippen berührte, und machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand. Im Räucherhaus herrschte tödliche Stille.
    »I …«
    Die Laute von Janus’ Lippen waren kaum zu hören.
    »w-ill …«
    Erlendur hielt die Hand immer noch ausgestreckt.
    »ster-ben …«
    »Raus!«, rief der Arzt und schob Erlendur zur Seite. Die Leute traten zur Seite, und es bildete sich eine Gasse aus dem Räucherhaus hinaus. Der Arzt legte Janus eine Sauerstoffmaske an. Zwei Sanitäter nahmen die Bahre hoch und liefen mit ihr zum Krankenwagen.

Einundvierzig
    Janus Wunsch zu sterben ging nicht in Erfüllung. Er wurde einen Monat lang künstlich im Koma gehalten, solange seine Wunden heilten, und er lag weitere zwei Monate zur Behandlung der Verbrennungen im Krankenhaus. Das rechte Bein musste unterhalb des Knies amputiert werden, das andere vermochten die Ärzte mit Haut- und Adertransplantationen zu retten. Er litt an den Folgen einer schweren Rauchvergiftung, Lungen und Atemwege waren stark in Mitleidenschaft gezogen. Man ging davon aus, dass der Schornstein, der trotz jahrelanger Nichtbenutzung noch gut abzog, ihm das Leben gerettet habe. Da die Schiebekästen zu beiden Seiten offen gestanden hatte, war ein Durchzug entstanden. Außerdem hatte das Brennmaterial nur zum Teil Feuer gefangen, nur an einigen Stellen in der Lade brannte es, an anderen war das Feuer wieder erloschen.
    Erlendur erkundigte sich in regelmäßigen Abständen nach Janus’ Befinden und besuchte ihn im Krankenhaus; manchmal brachte er ihm eine Kleinigkeit mit, und manchmal setzte er sich zu ihm, und sie schwiegen miteinander. Als Janus wieder zu Bewusstsein gekommen war, hatte Erlendur ihm in groben Zügen den Gang der Ermittlungen erzählt, und als Janus’ Heilungsprozess Fortschritte machte, konnten sie sich immer länger miteinander unterhalten. Dabei erfuhr Erlendur, was nach Herberts Verschwinden geschehen war und wie er Janus übel zugerichtet und im Räucherofen festgebunden hatte. Während Janus’ Krankenhausaufenthalts wurde fortwährend nach Herbert gefahndet, aber erfolglos. Nach fast zwölf Wochen im Krankenhaus gelang es Erlendur endlich, Janus dazu zu bringen, über Birta zu reden.
    An diesem Tag hatte man ihn in seinem Krankenbett zum Aufenthaltsraum gerollt, und Erlendur war dorthin mitgegangen. Draußen pfiff der Oktoberwind und fegte das Laub über Wege und Straßen, und die Sonne stieg von Tag zu Tag weniger den Horizont hinauf. Erlendur freute sich auf den Winter mit Kälte, Dunkelheit und immer kürzer werdenden Tagen, die ihm lieber waren als diese endlos hellen Nächte des Sommers.
    Die Krankenpflegerin platzierte das Bett so, dass Janus die Aussicht über die Fossvogur-Bucht genießen konnte, und verließ die beiden dann. Auf der Station waren kaum Menschen.
    »Heute Morgen wurde mir die Prothese angepasst«, sagte Janus.
    »Die machen diese Dinger heute schon so, dass man sich wünschen würde, man hätte Bedarf dafür«, erklärte Erlendur.
    »Wohl kaum.«
    »Nein, wohl kaum.«
    »Gibt’s was Neues in Bezug auf Herbert?«
    »Alles, was ich weiß, habe ich von Sigurður Óli. Ich muss mich mit anderen Fällen befassen, weil meine Tochter auf ziemlich unerfreuliche Weise in diesen Fall verwickelt ist. Ich hatte dir ja gesagt, dass Herbert absolut nicht aufzufinden ist, er ist wie vom Erdboden verschluckt. Alle, die in den letzten zwanzig Jahren mit ihm in Berührung gekommen sind, wurden vernommen, aber er ist und bleibt verschwunden. Seine schon etwas betagte Mutter ist seinetwegen außer sich vor Sorge. Kannst du das verstehen? Soweit wir sehen können, hat er das Land nicht verlassen. Uns ist bekannt, dass ein Onkel von Herbert bei der Eimskip-Reederei arbeitet, und wir dachten, dass der Herbert vielleicht an Bord geschmuggelt und ihn nach Bremerhaven gebracht hat oder in einen dieser Häfen, die die Reederei anläuft. Aber der Onkel fiel aus allen Wolken und schwörte Stein auf Bein, dass Herbert sich nicht mit ihm in Verbindung gesetzt habe. Wir schaffen es kaum, all die Klatschgeschichten, die bei uns auf den Tisch flattern, zu bearbeiten. Laut der allerneuesten wurde er umgebracht und irgendwo in einer Baugrube in der neuen Siedlung in Grafarvogur vergraben. Mir ist es scheißegal, ich wäre im Gegenteil heilfroh, wenn wir diese Gestalt nicht mehr wiedersehen müssten.«
    »Aber der Typ, der bei ihm war?«
    »Dieses Fleischpaket? Es gibt Leute, die behaupten, der habe Herberts Drogengeschäfte nun übernommen. Er
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