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Todesgott

Todesgott

Titel: Todesgott
Autoren: Árni Thórarinsson
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auf dem Kopf. Die Leute sind offenbar in aller Eile in den Ort aufgebrochen und haben sich nicht die Zeit zum Umziehen genommen.
    Als wir näher kommen, wird deutlich, dass die Leute in schlechter Verfassung sind. Sie stehen in Trauben um den Krankenwagen herum, entweder weinend oder tröstend. Im Wagen erkenne ich undeutlich zwei Blaujacken sowie eine Frau und einen Mann in weißen Kitteln.
    Wir biegen in den Hof ein, und Jóa angelt auf dem Rücksitz nach ihrer Kamera.
     
    »Sie ist ganz plötzlich über Bord gegangen. So mir nichts, dir nichts. Ich versteh das einfach nicht.«
    Er ist ein stattlicher, hochaufgeschossener Kerl mittleren Alters, wettergegerbt, rothaarig und mit üppigem Haarwuchs, der Bart in dem markanten Gesicht schon leicht ergraut. Sigurpáll Einarsson, Eigentümer von Sigurpálls Adventure-Tours GmbH, wirkt in seinem monströsen Regenoverall energisch und muskulös. Aber seine Lippen zittern. »So was ist bei mir noch nie passiert. Noch nie. Und es ist alles so gut angelaufen. Super Stimmung in der Gruppe.«
    »Warst du selbst als Reiseleiter dabei?«, frage ich, nachdem ich ihn vom Krankenwagen weggelotst habe.
    Er nickt langsam mit dem zerzausten Kopf und schüttelt ihn dann, ebenso langsam, so als wäre er noch nicht ganz wieder in der Realität angelangt. Zur Zeit ist jedoch kein anderer Informant zur Stelle, und ich muss mir ein genaueres Bild von dem Vorfall machen.
    »Wie hat das alles angefangen? Was war das für ein Trip?«
    Er schweigt einen Moment. »Ein Adventuretrip. Ich hab in den letzten fünf Jahren Dutzende, wenn nicht gar Hunderte davon organisiert, auch auf der Vestari Jökulsá. Immer das Gleiche. Wir waren gerade mitten in den Stromschnellen, als die Frau aus dem Schlauchboot fiel. Ganz plötzlich.«
    »Ist es nicht ungewöhnlich früh im Jahr für Wildwasserfahrten? Finden die sonst nicht im Sommer statt?«, frage ich.
    »Doch, normalerweise beginnen wir im Mai. Aber das Wetter war so gut, klar und windstill, dass zwei, drei Wochen keine Rolle spielen. Wir hätten gar keine besseren Bedingungen haben können. Daran lag es nicht. Ich bin von dieser Firma beauftragt worden, einen Trip zu organisieren, was ich wie üblich gemacht habe. Mit Gruppendynamik, Proviant, River Rafting, Cliff Jumping und so weiter. Und die Vestari Jökulsá ist für solche Anfängerfahrten wie maßgeschneidert.«
    »Proviant? Gab es auch Alkohol?«
    Sigurpáll zieht die Nase hoch. »Wir schenken heißen Kakao aus.«
    Ich warte darauf, dass er weiterredet, aber als nichts geschieht, frage ich: »Waren die Leute angetrunken?«
    Sigurpáll zuckt zusammen. Seine braunen Augen schauen mich argwöhnisch an. »Hör mal, wer bist du eigentlich?«
    »Ich hab mich doch eben vorgestellt. Ich heiße Einar, Reporter beim
Abendblatt
. Wir haben in Akureyri eine Niederlassung eröffnet.«
    »Warum kümmert ihr euch nicht um die Schweinereien in Reykjavík? Da gibt’s doch genug Klatsch und Tratsch«, brummelt er.
    Mir ist nicht wohl bei der Sache. »Das
Abendblatt
hält es für notwendig, verstärkt über die großen Veränderungen in den ländlichen Gemeinden zu berichten und ihre Bewohner besser zu informieren«, zitiere ich aus einem neueren Leitartikel unseres Chefredakteurs Hannes.
    »Soll das etwa ein Sensationsbericht werden?«, fragt er. Seine Stimme hat genauso zu zittern begonnen wie seine Lippen.
    »Auf gar keinen Fall«, entgegne ich und bemühe mich, besonnen zu bleiben. Der Mann ist offenbar ziemlich angeschlagen. »Ich will nur korrekte Informationen über diesen Unfall haben. Zum Beispiel, bei welcher Firma die Leute arbeiten.«
    Ich lasse meinen Blick über die bedrückte Gruppe wandern. Keiner hat augenfällig Alkohol dabei. Jóa macht in aller Ruhe Fotos.
    »Sie sind von der Süßwarenfabrik Nammi in Akureyri«, erklärt Sigurpáll schleppend.
    »Wie viele Teilnehmer waren es denn?«
    »Ungefähr dreißig. Einige hatten ihre Lebensgefährten dabei.«
    »Ist das nicht eher ungewöhnlich bei einem Ausflug, der dem Zusammenhalt am Arbeitsplatz dienen soll?«
    »Ja, ziemlich. Aber es war wohl auch als eine Art Jahresfeier gedacht. Sie wollten den Tag mit einem Abendessen in Akureyri ausklingen lassen.« Er fügt hinzu: »Keine Ahnung, ob daraus noch was wird.«
    »Aber es ist doch niemand umgekommen, oder? So ernst kann es doch nicht sein.«
    Sigurpáll zittert jetzt am ganzen Körper.
    »Wer ist die Frau, die in den Fluss gefallen ist?«
    »Die Frau des Direktors. An ihren Namen kann ich mich
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