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Todesflirt

Todesflirt

Titel: Todesflirt
Autoren: Bettina Broemme
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wo’s langgeht, und die Jungs, es waren immer so vier, fünf, die haben alles für ihn gemacht. Er ist ein paar Jahre älter als die und die haben ihn alle als großen Bruder akzeptiert. Die haben Plakate geklebt, haben Rechtsrock-Konzerte organisiert, Demos und Stände beantragt – und bei den NPD- oder DVU-Kadern hat Thor sich dann dafür immer das Lob abgeholt.«
    »Und wie hat er die Wohnung finanziert?«
    »Was weiß ich – er hat ziemlich reiche Eltern. Die übrigens auch – dreimal darfst du raten – voll Nationalstolz sind. Bei dem in der Familie wird das rechte Denken seit Generationen weitergeben. Die unterstützen ihren Sohn total. Und schustern ihm halt auch Geld zu. Ich glaube, Malte war froh, dass er wo war, wo ihm gesagt wurde, was er tun sollte. Der hat fleißig mitgemacht – und hat sich ausnutzen lassen. Thor ist besonders begabt darin, die Drecksarbeit andere machen zu lassen. Für Malte hat’s irgendwann dazugehört, bei Schlägereien dabei zu sein. Manchmal sind sie freitagabends gezielt in die Veddel gefahren zum Ausländerklatschen. Da leben besonders viele Migranten, weißt du.«
    »Und Malte hat da mitgemacht?«
    »Tja, sieht so aus. Ich weiß auch nicht – ich glaub, der ist total in diese Welt eingetaucht und hat gar nicht mehr realisiert, was er da eigentlich macht. In seinem Kosmos waren es Ausländer nicht wert, in diesem Land zu leben, überhaupt zu leben. Der hat das absolut nicht mehr gepeilt.
    Anders ist es erst geworden, als Robin in die WG gezogen ist. Robin war bestimmt ein ebenso überzeugter Rechter wie Malte. Die beiden waren sicher nie so schlimm wie Thor, aber sie haben halt voll mitgemacht. Trotzdem – Robin war ein bisschen anders. Der hatte auch ein Scheiß-Elternhaus, war ein total Sensibler und …« Ihre Unterlippe beginnt zu zittern. Sie schließt kurz die Augen, sieht dann gen Himmel und schluckt.
    »Jedenfalls, Robin hat sich das Leben in der WG eine Zeit angeschaut, er hat mitgemacht bei ihren Aktionen. Der hat auch zugeschlagen, ganz klar. Aber er hat angefangen, Thor in Diskussionen zu verstricken. Er wollte alles genau wissen. Wieso ist der Holocaust ein Lüge? Hat nicht Hitler 1939 verkündet, dass er in einem nächsten Weltkrieg die Feinde Deutschlands vernichten würde? Hat er sich etwa nicht an sein Wort gehalten? Robin ist nicht einfach mitgelaufen, er wollte, dass seine Weltanschauung Bestand hat. Er hat sich mit den Quellen auseinandergesetzt, er hat Mein Kampf gelesen und Alfred Rosenberg, den ideologischen Kopf der NSDAP. Der hatte so ein Buch geschrieben, Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Robin hat mir mal ein paar Stellen daraus vorgelesen – unfassbar, dass die Leute sich echt ernsthaft damit auseinandergesetzt haben. Wenn du das liest … von wegen, Atlantis sei die Urheimat der arischen Rasse und die sei göttlich im Gegensatz zu den teuflischen Juden. Grauenhaft! Und ich glaube, spätestens als er sich damit auseinandergesetzt hat, hat’s bei ihm klick gemacht. Malte hat Robin immer bewundert, weil der so beherrscht war. Und weil er Thor meist Paroli bieten konnte. Die beiden müssen manchmal nächtelang diskutiert haben.«
    »Aber warum ist Robin dann nicht einfach abgehauen?«
    »Das ist nicht so einfach. Erst mal hätte er gar nicht gewusst, wohin. Zum anderen ist ein Aussteiger ein Verräter. Und Verräter werden mit dem Tod bestraft. Robin war klar, dass er vorsichtig sein musste, dass ihn Thor eh schon auf dem Kieker hatte. Er hat ein paar Mal versucht, Kontakt mit Exit aufzunehmen. Das ist so ein Organisation, die ausstiegswilligen Rechten hilft. Aber er hat dann jeden Termin doch wieder sausen lassen. Er war einfach noch nicht so weit. Robin und Malte waren so etwas wie Brüder, echt. Die haben sich vertraut – was in der Szene echt selten ist. Die hätten sich nicht hängen lassen. Und Robin hat Malte klargemacht, dass sie gemeinsam aussteigen sollten. Und Malte – ja, der ist ganz langsam aufgewacht. Ich glaube, ohne Robin hätte er das nicht so schnell geschafft. Irgendwann bestimmt, da bin ich mir sicher. Malte ist nicht böse. Er ist sensibel, verletzlich. Und er hatte nie gelernt, damit umzugehen. Na ja, und dann kam der Erste Mai. Letztes Jahr.«
    Sie trinkt den letzten Rest des inzwischen sicher kalten Kaffees. In der Tür der Cafeteria sehe ich den Kopf meines Vaters erscheinen. Ich winke ihm zu, deute an, dass er mit Juli heimfahren kann. Er versteht, winkt zurück und geht. Luisa räuspert sich.
    »Am Ersten Mai
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