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Todesfeuer

Todesfeuer

Titel: Todesfeuer
Autoren: Jonathan Kellerman
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zum grauen Himmel.
    Die Junidüsternis in L.A. Manchmal reden wir uns ein, es wäre Nebel vom Meer.
    Ich musterte die Leichen von fern, trat so weit zurück, wie ich konnte, und achtete darauf, die gebogene Sperrholzwand nicht zu berühren. »Wie lange bist du schon da?«
    »Eine Stunde.«
    »In diese Gegend kommst du nicht allzu oft, Großer, oder?«
    »Lage, Lage, Lage.«
    Die rechtsmedizinische Assistentin hörte das und warf einen Blick nach hinten. Eine große, hübsche, breitschultrige junge Frau in olivgrünem Hosenanzug, die sich viel Zeit mit der Kamera ließ, sich hinkniete, sich vorbeugte, in die Hocke ging und auf die Zehenspitzen stellte, um jeden Blickwinkel zu erfassen.
    »Nur noch ein paar Minuten, Lieutenant.«
    »Lassen Sie sich Zeit«, sagte Milo.
    Der Schauplatz des Mordes war der zweite Stock eines Bauprojektes an der Borodi Lane in Holmby Hills. Der mächtige Rohbau einer Villa, deren Eingangsbereich groß genug für ein ganzes Symphonieorchester war. Der Tatort sah aus wie eine Art Aussichtszimmer. Oder wie der Turm eines Schlosses.
    Mächtig zu bauen war in Holmby die Regel. Ein ganz anderes Universum als meine weiße Schachtel oberhalb von Beverly Glen, obwohl die Häuser in Laufweite lagen. Ich war nur gefahren, weil Milo manchmal gern nachdenkt und Anrufe erledigt, während ich das Lenkrad übernehme.
    Ein paar Sparren befanden sich auf dem Turm, aber der Großteil des Daches war offen. Der Wind strich herein. Mild, aber nicht genügend Luftbewegung, um den Geruch nach nassem Holz, Rost und Schimmel, Blut und Exkrementen zu kaschieren.
    Das männliche Opfer obenauf, das weibliche Opfer unter ihm eingeklemmt, so dass nur wenig von ihm zu sehen war.
    Seine schwarzen Designerjeans waren bis auf Wadenmitte heruntergeschoben. Sie hatte eins ihrer glatten, gebräunten Beine um seine Taille geschlungen. Braune Pumps an beiden Füßen.
    Eine letzte Umarmung, oder jemand wollte, dass es so aussah. Die Finger an den Händen der Frau, soweit ich sie erkennen konnte, waren gespreizt, im Tod jedoch erschlafft.
    Aber die angezogenen Beine passten nicht - wie konnte es sein, dass sie nach Eintritt des Todes an Ort und Stelle geblieben waren?
    Die Beine des Mannes waren muskulös und mit feinen, lockigen blonden Haaren bedeckt. Er trug einen schwarzen Kaschmirpulli, sie ein blaues Kleid. Ich reckte den Kopf, um mehr von ihr zu sehen, konnte aber lediglich Kleiderstoff erkennen. Eine Art glänzender Jersey. Über die Hüfte hochgeschoben.
    Der Mann hatte längeres, welliges Haar, hellbraun. Ein sauberes rotes Loch, mit schwarzen Schmauchspuren gesprenkelt, befand sich in der Ausbuchtung des Warzenfortsatzes hinter seinem rechten Ohr. Blut war schräg nach rechts an seinem Hals heruntergelaufen und auf den Sperrholzboden getropft. Die langen dunklen Strähnen ihrer Haare waren auf dem Boden ausgebreitet. Nicht viel Blut um sie herum.
    »Hätten sich die Beine nicht lösen müssen?«, sagte ich.
    »Meiner Meinung nach schon, wenn die Leichenstarre einsetzt und wieder abklingt«, sagte die RA, die noch immer fotografierte.
    Sie arbeitete in der Krypta an der Mission Road in East L.A. und hatte rosig glänzende Wangen, so als ginge sie regelmäßig wandern. Oder gab es so viele Tatorte unter freiem Himmel? Ich schätzte sie auf Ende zwanzig bis Anfang dreißig. Das rötliche Haar war zu einem hoch sitzenden Pferdeschwanz zusammengebunden, klare blaue Augen - ein Bauernmädchen, das auf der dunklen Seite arbeitete.
    Sie legte die Kamera beiseite, beugte sich hinab, hob die Taille des Mannes mit beiden Händen behutsam an und spähte in den rund fünf Zentimeter breiten Spalt. Das um ihn herumgeschlungene Frauenbein sank in sich zusammen, wie ein nicht richtig aufgestellter Klappstuhl. »Jo, sieht so aus, als wäre sie abgestützt worden, Lieutenant.«
    Sie blickte, Bestätigung heischend, zu Milo, die Hand noch immer zwischen die Leichen geschoben.
    »Könnte sein«, sagte er.
    Die RA hob das männliche Opfer noch ein bisschen höher, musterte es eingehend und ließ es vorsichtig ab. So sind alle Rechtsmediziner, die ich erlebt habe: respektvoll, ohne jemals abzustumpfen, obwohl sie an einem Arbeitstag mehr Schrecklichem begegnen als die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben.
    Sie stand auf, wischte sich Staub von der Hose. »Sie trägt kein Höschen, und sein Penis ist draußen. Natürlich hat er keine Erektion, deshalb sind sie nicht… zusammengeblieben. Aber an ihrem Oberschenkel ist ein verkrusteter
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