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Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman

Titel: Tod vor Morgengrauen: Kriminalroman
Autoren: Deon Meyer
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betrat das Gebäude.
     
    Er ließ sich auf den Stuhl fallen, seine Haltung ein Ausdruck mangelnden Respekts. »Kemp schickt mich«, war alles, was er
     sagte. Sie hatte genickt, sein geschwollenes Auge und die verletzte Lippe betrachtet, aber nicht weiter kommentiert.
    »Ich denke, Sie und ich, wir können uns gegenseitig behilflich sein, Mr. van Heerden.« Sie strich den Rock am Hintern glatt,
     bevor sie sich setzte.
    Mister
. Und ihr rührender Versuch, eine Gemeinsamkeit herzustellen. Er kannte das. Aber er sagte nichts. Er sah sie an. Fragte sich,
     von wem sie ihre Nase und ihren Mund hatte. Die großen Augen und die kleinen Ohren. Die genetischen Würfel waren etwas seltsam
     gefallen, beinah hätte man sie als schön bezeichnen können.
    |14| Sie hatte die Hände auf die Schreibtischfläche gelegt, die Finger ordentlich verschränkt. »Mr. Kemp erzählte mir, Sie verfügen
     über Erfahrung bei Ermittlungstätigkeiten, sind im Moment aber nicht fest angestellt. Ich brauche die Hilfe eines guten Ermittlers.«
     Norman Vincent Peale. Ihre Stimme war geschmeidig. Vermutlich war sie intelligent. Vermutlich würde es länger dauern als sonst
     bei den anderen Frauen, bis sie mit den Nerven am Ende war.
    Sie öffnete eine Schublade und nahm eine Akte heraus.
    »Hat Kemp Ihnen gesagt, dass ich ein ziemliches Wrack bin?«
    Ihre Hände zögerten kurz. Sie lächelte ihn steif an. »Mr. van Heerden, Ihre Persönlichkeit interessiert mich nicht. Ihr Privatleben
     interessiert mich nicht. Ich schlage Ihnen ein Geschäft vor. Ich biete Ihnen die Möglichkeit, zeitweilig für mich tätig zu
     sein, wofür ich Ihnen ein professionelles Gehalt zahle.«
    So beschissen kontrolliert. Als würde sie alles wissen. Als würde sie außer ihrem Handy und ihrem Diplom nichts brauchen,
     um sich zu schützen.
    »Wie alt sind Sie?«
    »Dreißig«, sagte sie, ohne zu zögern.
    Er blickte zu ihrem vierten Finger an der linken Hand. Kein Ring.
    »Sind Sie verfügbar, Mr. van Heerden?«
    »Kommt drauf an, was Sie wollen.«

|15| 2
    Meine Mutter war Künstlerin. Mein Vater war Bergmann.
    Sie sah ihn zum ersten Mal an einem kalten Wintertag auf dem vom Frost überzogenen Rugbyfeld des Olien Park. Sein gestreiftes
     Vaal-Reef-Jersey hing in Fetzen an ihm herab, langsam ging er zur Außenlinie, um sich ein neues Trikot zu holen, bewegte sich
     geschmeidig, schweißüberströmt, Schultern, Bauch und Rippen zeichneten sich deutlich ab und schimmerten schwach in der fahlen
     Nachmittagssonne.
    Sie hatte die Geschichte immer ganz genau erzählt, jedes Mal: der blassblaue Himmel, das ausgebleichte grau-weiße Gras im
     Stadion, die kleine Studentengruppe, die ihre Mannschaft lauthals gegen die Bergleute unterstützte, die purpurroten Narben
     der Spieler – leuchtende Farbflecken vor dem Mattgrau der Holzbänke. Jedes Mal, wenn ich die Geschichte hörte, schmückte ich
     sie mit weiteren Einzelheiten aus: ihrer schlanken Gestalt, wie ich sie von einem Schwarz-Weiß-Foto aus jener Zeit kannte,
     die Zigarette in der Hand, dunkles Haar, dunkle Augen, von gewisser tiefsinniger Schönheit. Wie sie ihn betrachtete, die Linien
     seines Gesichts und seines Körpers, die so unwiderstehlich makellos waren, als könnte sie darin bereits alles genau vor sich
     sehen.
    |16| »Genau in sein Herz«, sagte sie.
    In diesem Augenblick wusste sie zwei Dinge mit absoluter Gewissheit. Eines davon war, dass sie ihn malen wollte.
    Sie wartete nach dem Spiel draußen auf ihn, zwischen den Betreuern und Spielern der zweiten Mannschaft, bis er in Jackett
     und Krawatte, das Haar noch nass von der Dusche, herauskam. Und er erblickte sie im Licht der Dämmerung, spürte ihre Intensität,
     errötete und schritt auf sie zu, als wüsste er, dass sie ihn wollte.
    Sie hatte den Zettel in der Hand.
    »Ruf mich an«, sagte sie, als er vor ihr stand.
    Seine Kumpel umringten ihn, also gab sie ihm den gefalteten Zettel mit ihrem Namen und ihrer Telefonnummer und ging zurück
     zu dem Haus in der Thom Street, wo sie zur Untermiete wohnte.
    Er rief spätabends an.
    »Ich heiße Emile.«
    »Ich bin Künstlerin«, sagte sie. »Ich möchte dich malen.«
    »Oh.« Enttäuschung in seiner Stimme. »Wie? Malen?«
    »Dich.«
    »Warum?«
    »Weil du ein schöner Mann bist.«
    Er lachte, glaubte ihr nicht und war verunsichert. (Später hatte er ihr erzählt, dass ihm das neu war, dass es ihm immer schwer
     gefallen sei, Mädchen zu bekommen. Worauf sie antwortete, das liege daran, dass er sich
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