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Tod Live

Tod Live

Titel: Tod Live
Autoren: D.G. Compton
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schon lange vorher verlassen.«
    Er sprach wie ein netter Mann, der gemütlich zurückgelehnt in der Sonne saß. Und Tommy Tucker hatte gesagt, daß auch sie eine richtig nette Dame sei. Ich begriff nicht, was die beiden miteinander redeten. Dabei war ich so vermessen, ihnen helfen zu wollen.
    Ich schaltete mich zu laut ein, wählte die falsche Stimmhöhe. »Fragen Sie sie, was ihr der Arzt gesagt hat. Fragen Sie sie nach der Aufwühlung.«
    »Roddie?« Sie schien überrascht, daß ich noch da war. »Aufwühlung, Roddie? Was für ein unsinniges Wort ist denn das?«
    Ich merkte, daß sie vor Gerald eine Rolle spielte. »Die Aufwühlung, die zu deiner Krankheit gehört«, sagte ich. »Doktor Mason hat das sehr gut beschrieben. Du darfst nicht vergessen, daß ich dabei war.«
    »Du irrst dich, Roddie. Nervliche Überbelastung… Ausgebrannte Stromkreise… Das ist meine Krankheit.«
    Gerald erkannte sofort das Problem zwischen uns. »Der Dichter Dylan Thomas«, murmelte er, »ist angeblich an einer ›Beleidigung des Gehirns‹ gestorben. Wenigstens soll das auf seinem Totenschein stehen. Beleidigung oder Aufwühlung… es ist nur ein kleiner Schritt.«
    »Mystischer Unsinn, Gerald. Wir wissen beide, daß Thomas am Alkohol gestorben ist.«
    Ich hätte merken müssen, daß sie zuviel protestierte. Aber es fiel mir nicht auf. »Und dann dein Buch«, beharrte ich. »Nach Peters Beschreibung war da ein Gefühl der Aufwühlung auf jeder Seite…«
    »Buch? Es gibt kein Buch… Außerdem habe ich alle Notizen in dem Hotel vernichtet, alle wichtigen Notizen. Ein dummes Projekt, Gerald. Zornig, kindisch. Ein dummes Projekt…«
    »Aber es paßte zu dem, was dir der Arzt gesagt hat. Du erinnerst dich doch?«
    Irgend etwas mußte mich unempfindlich gemacht haben gegenüber ihrer Verzweiflung. Vielleicht der Wein. Ich hörte, wie sie sich bewegte, spürte, wie mich das Gewicht ihrer vollen Konzentration in meinem Stuhl festnagelte.
    »Ich erinnere mich… Ich erinnere mich an alle möglichen Dinge.« Trotz der Festigkeit ihrer Stimme ermüdete sie schnell. »Ich erinnere mich zum Beispiel, daß du unter Ferriman gearbeitet hast. Mr. Ferriman ist der verderbteste, widerlichste Mensch, der mir je über den Weg gelaufen ist. Du hast für ihn gearbeitet. Freiwillig.«
    Ihre Worte kränkten mich nicht so sehr wie noch vor einigen Stunden. Trost, der einmal gespendet worden war, konnte nicht zurückgenommen werden. Dazu hatte sie nicht das Recht.
    Ich schwieg, und schließlich wandte sie sich wieder an Gerald. »Ich hätte eher angenommen, daß du derjenige bist, der wieder heiratet«, sagte sie. »Und nicht ich.«
    »Ich glaube nicht, daß du wieder geheiratet hast. Ebensowenig wie du gewagt hast, mehr als Computerbücher zu produzieren.«
    Ein langes Schweigen trat ein. Als sie wieder das Wort ergriff, setzte sie eine private Gedankenkette fort, die ich nicht sofort begriff. »Wie ich gehört habe, hat es – Sendungen gegeben. Du hast sie gesehen…« Die Worte kamen ihr sehr langsam über die Lippen, fanden nur mühsam zusammen. »Sind wir – deshalb hier und reden? Bist du deshalb nicht zur Polizei gegangen?«
    »Die Sendungen haben mich sehr zornig gemacht. Natürlich haben sie mich zornig gemacht. Doch der Grund, dich jetzt den Behörden zu übergeben, wäre, daß du dringend ärztliche Pflege brauchst. Da müßte schon mehr als meine Wut auf eine miese Fernsehgesellschaft kommen, damit ich dir das vorenthalte.«
    »Dann also Mitleid?«
    »Ich kann nicht behaupten, daß ich dich als jemanden gesehen habe, der Mitleid braucht.«
    »Warum dann?«
    Untypischerweise zögerte er. Plötzlich erkannte ich, daß sie um etwas anderes bat. Sie bat ihn, Liebe einzugestehen. Die Liebe eines Ehemannes, eines Mannes, einfach die Liebe eines Menschen. Sie wußte, daß sie meine Liebe besaß, doch das war einfacher, eine Liebe aus gegenseitigem Schmerz. Sie brauchte Geralds Empfinden, aus dem geboren, was sie einmal gewesen war, unliebenswürdig, verschlossen. Ich hielt den Atem an, wünschte mir, daß er es spürte. Im Vorbeifliegen schrie laut ein Kuckuck.
    Endlich antwortete er: »Die Entscheidung lag gar nicht bei mir, Kath. Du hast sie vor Tagen allein getroffen. Ich konnte sie nur respektieren. Und durfte dich achten, daß du sie gefällt hast.«
    Und noch immer wartete sie. Wie hübsch wir unsere Worte wählen: Liebe, Bewunderung, Achtung… Nach meinen Begriffen liebte er sie. Doch meine Begriffe zogen nicht die behutsame, schützende
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