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Tod Live

Tod Live

Titel: Tod Live
Autoren: D.G. Compton
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machen sich etwas vor, Doktor. Sie ist eine Todespatientin. Ich habe selbst gehört, wie Sie ihr das gesagt haben.«
    Tracey musterte die beiden Männer. Hier wurde Macht ausgeübt: Vincents ganze Persönlichkeit wurde in die Waagschale geworfen – und mehr. Sie kannte seine Tricks, seine Rücksichtslosigkeit. Wie der Streitpunkt auch aussehen mochte – der Arzt war kein gleichwertiger Gegner für ihn… Auch Roddie war ihm trotz seines Muts und seiner Phantasie nicht gewachsen. Sie war hier, weil Roddie sie brauchte. Weil alles besser war, als zu Hause vor dem Fernseher zu warten. Weil sie das Gefühl hatte, ihm hier in Vincents Büro näher zu sein als sonstwo. Jetzt erkannte sie, daß es andere Querverbindungen gab, Komplikationen, über die sie lieber nicht nachdachte.
    »Was Sie bisher getan haben, um sie zu finden«, sagte sie, »Sie müssen’s noch einmal tun. Wahrscheinlich haben Sie etwas übersehen. Sie müssen noch einmal von vorn anfangen.«
    »Wir müssen? Meine liebe Tracey…«
    »Sie sind ein harter Bursche, Vincent. Aber ich frage mich, ob Sie wirklich ganz so hart sind, wie Sie tun. Ich frage mich, ob Sie hinterher nicht lieber guten Gewissens behaupten wollen, daß Sie alles menschenmögliche getan haben.«
    Er blickte sie von der Seite an. »Wegen unserer Werbekunden?«
    »Suchen Sie sich aus, für wen Sie’s tun!«
    Er seufzte, wischte seine Fettfinger am Taschentuch ab und griff nach dem Telefon.
     
    Wir saßen auf Korbstühlen und aßen Salat aus hölzernen Schalen. Zumindest ich aß so. Ich wußte Geralds Rücksichtnahme zu schätzen – ich konnte mit den Fingern im Salat herumwühlen, ohne allzuviel zu verschütten. Ich hatte mir nie Gedanken gemacht, wie Blinde eigentlich essen. Eine Holzschale und die Finger schienen mir durchaus die beste Lösung zu sein. Und ein Glas Wein stand auf dem Boden neben mir, Weißwein, wie man mir gesagt hatte. Weiß mußte er wohl schon sein, so gekühlt auf dem Rasen eines Schuldirektors, und dazu Salat. Und die Sonnenstrahlen warm im Gesicht.
    Gerald war freundlich: ein großer Mann, der mir imponierend vorkam. Er war von Anfang an nicht völlig gegen mich gewesen, sondern hatte nur auf ein Zeichen von Katherine gewartet.
    Aber Katherine war keine große Zeichengeberin. Immerhin starb sie – ja, hier in diesem Garten starb sie, und sie ließ auch davon nichts erkennen. Jedenfalls nicht gegenüber Gerald, der ihr sicher geglaubt hätte. Aber ich wußte es besser. Nach ihrem letzten Anfall beim Wagen war sie – anders. Ihr Atem klang anders. Er hatte keinen Rhythmus mehr, ebensowenig wie ihr Gang, wie ihre Stimme. Keine Kontinuität. Es war, als müsse sie jede notwendige Handlung neu entdecken und immer wieder neu erobern. Und die Mühe, die damit verbunden war, wuchs ständig. Sie war über den Schüttelfrost hinaus. Sie hatte den Schüttelfrost hinter sich – und die Lähmungen und den Verlust der Bewegungskoordination und die Doppelsichtigkeit und… Ich unterdrückte den Gedanken. Sie starb.
    Ich wußte, was das bedeutete. Natürlich wußte ich das, jeder denkende Mensch wußte, was das bedeutete. Es bedeutete Asche zu Asche, Erde zu Erde.
    Ich hatte keine Ahnung, was es bedeutete.
    »…vielleicht wären die Dinge auf eine Weise zu einfach«, sagte sie, »weil wir keine Kinder hatten.«
    »Wie hätten wir Kinder haben können? Du schienst jedenfalls keine der Eigenschaften zu haben, die eine Mutter braucht.«
    Spielten die beiden da eine Art Wahrheitsspiel – oder waren sie immer so ehrlich miteinander umgesprungen? Ich schob Kartoffelsalat zusammen und trank von meinem Wein.
    »Du hast nicht alles über mich gewußt, Gerald. Aber vielleicht hattest du recht, was meine Muttertalente angeht.«
    »Jetzt hast du sie, Kath.«
    Angesichts der Ehrlichkeit der beiden war das ein echtes Kompliment – trotz ihres Zustands. »Ich hoffe, daß du recht hast, Gerald. Es wäre an der Zeit.«
    Die beiden schwiegen eine Weile. Dann: »Weißt du, ich bin froh, daß du nicht wieder geheiratet hast, Gerald.«
    »Was für einen Unterschied hätte das gemacht?«
    »Ich habe an meinen Vater gedacht. Der ist andauernd neue Ehen eingegangen.«
    »Wie freudianisch von dir… Hast du mich deshalb verlassen? Weil du der Meinung warst, deinen Vater geheiratet zu haben, und dann feststellen mußtest, daß das nicht so war?«
    Das war sogar für sie zuviel. »Du hast mich verlassen«, sagte Katherine.
    »Nach dem Buchstaben des Gesetzes vielleicht. Aber du hattest mich
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