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Tod in Wolfsburg (German Edition)

Tod in Wolfsburg (German Edition)

Titel: Tod in Wolfsburg (German Edition)
Autoren: Manuela Kuck
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Einkaufscenter am
Südkopf, das gemeinsam mit zahlreichen anderen Geschäften und Lokalen um die
Aufmerksamkeit und das Geld der VW -Angestellten
und ihrer Familien buhlte – am aufdringlichsten: das Center mit den
Designer-Outlets, das wie ein gestrandeter Ozeanriese schon am Bahnhof auf
Neugierige und Kauflustige wartete. Mittendrin die lebensgroßen Wolfsplastiken,
auf denen Kinder herumtollten, Volkshochschule und Rathaus, ein Kunstmuseum,
das mehr Besucher von außerhalb anzog, als es Wolfsburger in die Ausstellungen
lockte, und kleine Passagen, in denen Ärzte und teurere Läden residierten.
Italienische Sprachfetzen flogen ihr zu. Berlins Türken, Wolfsburgs Italiener –
vor dreißig Jahren waren sie in Gruppen, singend und Gitarre spielend, über die
Berliner Brücke geschlendert, erinnerte Johanna sich plötzlich: Azzuro … Adriano Celentano. Oder lag das noch länger zurück?
    Die Pizzeria, in der Johanna damals regelmäßig ihre Pizza zum
Mitnehmen gekauft hatte, war seinerzeit nur eine kleine Imbissbude gewesen, die
hundert Meter im Umkreis ihren Käse-Tomaten-Salami-Duft verbreitet hatte. Die
Bude existierte längst nicht mehr, an ihrer Stelle befand sich ein schickes
Restaurant mit saftigen Preisen, die sich viele nicht mehr leisten konnten oder
nur noch zu ganz besonderen Gelegenheiten. Auch VW hatte schließlich Federn lassen müssen. Hartz- IV -Empfänger
zurückgelassen. Trotz Autostadt, Experimentiermuseum Phaeno, Designerläden, VW -Arena und Jazzfestival. Und das
Jobcenter am nördlichen Ende der Porschestraße, das sprachlich und
architektonisch ungleich flotter daherkam als das alte, biedere Arbeitsamt,
konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Lack ab war – zumindest an
einigen Stellen.
    Johannas Mutter lamentierte bei ihren gelegentlichen Telefonaten
immer darüber, wie wenig das Geld nur noch wert sei und dass sie – und nicht
nur sie – inzwischen regelmäßig ihre Brötchen bei einer Vortagesbäckerei kaufen
müsse. Brot von gestern als Geschäftsidee. Die fetten Jahre waren vorbei,
bemerkte sie meist abschließend. Erst im Nachhinein zeigte sich, wie fett sie
wirklich gewesen waren, und: Auch in Wolfsburg gab es monströse
Hochhaussiedlungen, Gettobildung und Bandenkriminalität, wie Johanna sie aus
Berlin-Neukölln und vielen anderen Städten kannte. Drogenhandel. Mord und
Totschlag.
    Eine Fünfzehnjährige hatte in der Nähe des Allersees auf den
Bahngleisen gelegen und war von einem Zug überrollt worden. Bis vor ein paar
Tagen war man von einem tragischen Unfall ausgegangen.
    Johanna steckte sich den letzten Bissen in den Mund und wischte sich
die Hände notdürftig an dem Papiertuch ab, in das das Brötchen eingewickelt
gewesen war. Dann sah sie auf ihre Uhr. Bis zu ihrem Termin mit Kommissar
Jürgen Reinders hatte sie noch eine gute Viertelstunde Zeit und konnte bequem
zu Fuß zur Polizeiinspektion an der Heßlinger Straße gehen. Darüber hinaus
hoffte sie, den Fischgeruch auf diese Weise zumindest teilweise wieder
loszuwerden – Hering roch allerdings besonders intensiv. Daran hätte sie auch
früher denken können. Johanna seufzte, aber ihr schlechtes Gewissen hielt sich
in Grenzen.
    Reinders stand in der offenen Tür und starrte sie verblüfft an,
nachdem Johanna sich vorgestellt hatte. Das war nicht neu. Natürlich wusste
sie, wie sie auf andere wirkte, noch dazu auf diejenigen, die ihr zum ersten
Mal gegenübertraten und sich ein gänzlich anderes Bild von einer BKA -Beamtin gemacht hatten, die eigens
aus Berlin anreiste, um bei einem Fall unterstützend mitzuwirken. Manchmal
reagierte sie genervt, häufig amüsiert. Reinders war ihr auf Anhieb
sympathisch, und sie beschloss großmütig, es ihm nicht unnötig schwer zu
machen.
    »Darf ich hereinkommen?«
    »Ja, ja, natürlich, entschuldigen Sie bitte …« Er fuhr sich mit
beiden Händen durch sein schwarzes Haar und trat beiseite. »Ich hatte gedacht
…«
    Johanna lächelte. »Wen haben Sie erwartet – Iris Berben?«
    Er lächelte zurück und bekam rote Ohren. »Tja, ich weiß nicht, aber
es tut mir leid, wenn ich Sie …«
    »Vergessen Sie es.«
    Das Büro war mit einigen persönlichen Utensilien – Pflanzen,
mehreren Bildern an den Wänden und Fotos auf dem Schreibtisch – wohnlich
gestaltet. Offensichtlich war Reinders, den sie auf Mitte dreißig schätzte,
glücklich verheiratet, Vater einer kleinen Tochter und Squashspieler. Sie
nahmen an einem Tisch unter dem Fenster Platz, nachdem Reinders Kaffee
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