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Tod in Wolfsburg (German Edition)

Tod in Wolfsburg (German Edition)

Titel: Tod in Wolfsburg (German Edition)
Autoren: Manuela Kuck
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Sie werden die
Wolfsburger sich kümmern, oder wollen Sie lieber bei Ihrer Familie
unterschlüpfen?«
    Johanna stand auf. »Das kläre ich am besten vor Ort.«
    »Tun Sie das. Und vergessen Sie nicht, Krass – ich will regelmäßig
über den Stand der Dinge informiert werden.«
    »Wie könnte ich das vergessen?«
    Magdalena Grimich schien einen Moment zu überlegen, ob es angemessen
war, auf Johannas Bemerkung einzugehen, oder ob es souveräner wirkte, darüber
hinwegzusehen. Sie entschied sich für Letzteres. Erstaunlicherweise. Johanna
nickte ihr zu und verließ den Raum. Wenige Minuten später saß sie zwei
Stockwerke tiefer mit einer großen Tasse pechschwarzem Kaffee und einer Packung
Schokoladenkekse an ihrem Schreibtisch und schlug die Akte auf.
    Ihr Hang zu Süßigkeiten, mit denen sie ihre frühere Zigarettensucht
kompensierte, war gerade im Dienst ungebrochen – obwohl sie schon seit Jahren
nicht mehr rauchte. Glücklicherweise war sie kein Typ, der schnell zunahm, und
selbst wenn: Johanna gehörte nicht zu den Frauen, die mit achtundvierzig Jahren
entsetzt feststellten, dass die Hosengröße nicht mehr passte, die viele Jahre
lang perfekt gesessen hatte. An ihr saß ohnehin nichts perfekt und wenn doch,
würde sie es kaum bemerken, geschweige denn für wichtig erachten. Johanna
bevorzugte Jeans oder Outdoorhosen und Shirts, kombiniert mit Lederjacke oder
Weste, Cap und Trekkingschuhen, und ihre Stimme klang stets, als hätte sie zu
lange in der Kneipe gesessen und dabei nicht nur Hagebuttentee getrunken. Ihr
kantiges Gesicht wurde von übergroßen blauen Augen beherrscht, und jeder
Versuch, es mit Make-up weicher und milder erscheinen zu lassen, war bislang
gescheitert. Jedenfalls nach Johannas Ansicht. Sie verabscheute Hand-oder
Aktentaschen und schleppte ihre Utensilien stets in einem abgewetzten
Lederrucksack durch die Gegend. Wenn es kalt war, schlüpfte sie in
Fleecepullover und dicke Anoraks und zog unter ihrem Cap zusätzlich ein
Stirnband über die Ohren, was alles andere als apart aussah. Höchstens ziemlich
krass. Aber ihr Name war ohnehin Programm, und mit Ende vierzig hatte sie so
viel Weisheit errungen – zum Teil mühsam errungen –, dass sie sogar stolz auf
ihn war. Die wenigen Verehrer, die sich um sie bemühten, waren in ihren Augen
entweder lächerliche Versager, die Schutz bei ihr suchten, oder hatten nicht
genügend Ausdauer, um sich mit ihrer Kratzbürstigkeit zu messen und ihrer
bewusst gewählten Unweiblichkeit einen gewissen Charme abzugewinnen. Die
meisten Frauen hatten entweder Angst vor ihr oder verachteten sie. Einige
wenige waren neugierig, was sich hinter ihrer schroffen Art verbarg. Grimich
gehörte definitiv nicht dazu.
    Johanna griff sich immer zwei Kekse auf einmal aus der Packung. Sie
kaute gleichmäßig, verstreute Krümel über den Tisch und spülte geräuschvoll mit
Kaffee nach, während sie sich in den Fall vertiefte. Nach fünf Minuten begann
sie langsamer zu kauen und hörte schließlich ganz auf. Fälle, bei denen es um
Kinder oder Jugendliche ging, waren die schlimmsten.

2
    Bei ihren seltenen Besuchen in Wolfsburg war Johanna immer
wieder aufs Neue verblüfft, wie gepflegt und herausgeputzt die VW -Stadt war, zumindest auf den ersten
Blick. Dass sie mit dieser satten und bis in jede Einzelheit durchgeplanten
Biederkeit wenig anzufangen wusste und sich eher in der quirligen Hauptstadt zu
Hause fühlte, die ihr mit ihrem ruppigen und häufig etwas chaotischen Charme,
den höchst unterschiedlichen Stadtteilen und phantasievollen Übergangslösungen
bedeutend näher war, mochte den Eindruck noch verstärken. Wolfsburgs breite
Straßen waren in einwandfreiem Zustand, es gab kaum Baustellen, Wohn-und
Geschäftshäuser erstrahlten in frischen Farben, und in den aufwendig
gestalteten Park-und Freizeitanlagen wurden regelmäßig die Abfalleimer geleert
und auch Nebenwege geharkt. Das Schwimmbad hieß VW -Bad,
das Stadion VW -Arena. Ohne Autos
ging gar nichts. Und die meisten waren neu oder sahen zumindest so aus.
    Johanna parkte im Südkopfcenter, um sich bei Nordsee einen Imbiss zu
besorgen. Die City war in den vergangenen Jahren zunehmend ausgebaut worden –
man könnte auch sagen: aufgemotzt, dachte Johanna und schlenderte, herzhaft von
ihrem Fischbrötchen abbeißend, die Porschestraße hinunter. Die Fußgängerzone
reichte vom Hauptbahnhof am nördlichen Ende, der trotz Umgestaltung immer noch
kleiner war als viele Berliner S-Bahn-Stationen, bis zum
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