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Tod in Wolfsburg (German Edition)

Tod in Wolfsburg (German Edition)

Titel: Tod in Wolfsburg (German Edition)
Autoren: Manuela Kuck
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und stand so abrupt auf, dass Sofia Beran und
Reinders verdattert zu ihr hoch blickten. »Haben Sie eine Liste mit allen
Namen, Adressen und so weiter für mich vorbereitet?«
    »Na klar.« Reinders sprang auf und eilte an seinen Schreibtisch, wo
er nach einem schmalen Hefter griff. »Wir haben übrigens ein Zimmer für Sie in
Alt-Wolfsburg reserviert. Im Gasthaus ›Alter Wolf‹.«
    »Wie nobel, danke.« Johanna griff sich den Hefter, nickte Beran zu
und ging, von Reinders begleitet, zur Tür. »Ich melde mich, wenn ich Fragen
habe oder Unterstützung brauche. Danke Ihnen beiden.«
    »Aber … Wie gehen wir denn jetzt weiter vor?« Reinders legte die
Hand auf die Klinke.
    »Ich vertiefe mich in den Fall, ich führe Gespräche, ich sammle
Eindrücke, führe weitere Gespräche, gehe in mich … Und so weiter.«
    »Und so weiter«, wiederholte Reinders. »Verstehe.«
    Das bezweifelte Johanna, aber sie verkniff sich einen Kommentar.
»Danke für den Kaffee. Bis dann.«
    Eine halbe Stunde später fuhr Johanna über die Berliner Brücke, die
Schornsteine der Fabrik links, das Stadion rechts hinter sich lassend, auf
Alt-Wolfsburg mit seinem Schloss und dem Park zu. Sie merkte erst, wie
geschafft sie war, als sie sich in ihrem Zimmer auf dem Bett ausstreckte. Ihre
ursprüngliche Idee, sich noch bei ihrer Mutter zu melden, verwarf sie im
gleichen Augenblick. Sie bestellte sich zum Abendessen ein Hirschragout mit
Rotkohl und Kroketten aufs Zimmer, erledigte einige Telefonate und schlief
später vor dem Fernseher ein – tief und traumlos. Keine Bilder von toten
Mädchen vor Augen. In dieser Nacht nicht.

3
    Er inhalierte den Rauch tief und lange, während er an der
offenen Terrassentür stand und in den Garten hinausblickte. Wie ein Süchtiger,
der sich stundenlang nach einer Zigarette gesehnt hatte und für den in diesem
Augenblick nichts köstlicher war als der würzige Qualm, der mit zartem Stechen
Mund, Gaumen, Lunge füllte und eine wunderbare Zufriedenheit auslösen konnte.
Zehn Jahre hatte er nicht geraucht. Um dann von einem Tag auf den anderen zu
der alten Angewohnheit zurückzukehren – als hätte es die Zeit dazwischen nie
gegeben –, mit der gleichen Art, die Zigarette beim Ziehen mit Daumen und
Zeigefinger zu umfassen, um sie danach zwischen Mittelfinger und Zeigefinger zu
schieben, wo sie einen Moment verweilte, bis er sie erneut zum Mund führte.
    Bezeichnenderweise hatte Moritz erst wieder mit dem Rauchen
angefangen, als seine Mutter im Krankenhaus lag und es ihr mit ihren wilden
Geschichten schließlich doch gelungen war, Gott und die Welt verrückt zu
machen. Vor drei Monaten, als das Kind begraben worden war, war es ihm nicht
schwergefallen zu widerstehen. Vielleicht weil er ohnehin kaum noch etwas
gespürt hatte. Nur diese Kälte, die sein Herz mit eisiger Stille umschlossen
hatte. Die Grenzenlosigkeit des Schmerzes hatte ihn manchmal fast verblüfft.
Niemals durften Kinder vor den Eltern sterben, schon gar nicht die eigenen.
Karen war fünfzehn gewesen, und der Gedanke an sie, an den Verlust, machte ihn
schwach und zittrig. Er wusste, dass er keine Hilfe für seine Frau war. Für
Mütter war es noch schlimmer – hatte er mal irgendwo gelesen. Stefanie verfiel
seitdem. Er hatte das Gefühl, dabei zusehen zu können. Sie war schon vorher
kaum mehr als eine halbe Portion gewesen. Jetzt bestand sie nur noch aus Haut
und Knochen und Beruhigungstabletten. Er hatte Angst, dass sie aufgeben würde.
Sich selbst und dieses Leben. Er hätte es verstanden.
    »Sag deiner Mutter, dass sie endlich mit diesem Theater aufhören
soll!«, hatte sie ihn noch vor einigen Tagen angeschrien – aus dem Nichts
heraus, mitten in die bleischwere Stille hinein, die sie schon am
Frühstückstisch zwischen sich aufgebahrt hatten. »Ich ertrage das nicht mehr.
Wie sollen wir je zur Ruhe kommen, wenn sie ständig in der Wunde herumbohrt?«
Aber da war es schon zu spät gewesen. Die Polizei ermittelte wieder, wie er
inzwischen erfahren hatte.
    Moritz drückte seine Zigarette aus, stellte den Aschenbecher in
einen leeren Pflanzentopf unter dem Terrassentisch und schloss die Tür. Eine
herbstlich matte Sonne mühte sich über den Horizont, der langsam ein zartes
Violett annahm. Eigentlich schön. Ein Geräusch ließ Moritz herumfahren.
    Stefanie stand hinter ihm. Eine schmale Silhouette in dunkelblauer
Trainingskleidung.
    »Hallo, du bist ja schon auf! Gehst du joggen? Soll ich Frühstück
machen?«
    Er sah, dass sie nach einer
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