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Tod in St. Pauli: Krimi Klassiker - Band 1 (German Edition)

Tod in St. Pauli: Krimi Klassiker - Band 1 (German Edition)

Titel: Tod in St. Pauli: Krimi Klassiker - Band 1 (German Edition)
Autoren: Irene Rodrian
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redeten und rauchten. Er tastete nach dem Bröckchen Haschisch in seinem Schuh. Würde vielleicht noch für zwei Joints reichen. Er nahm die Weinflasche; sie war heiß. Der Wein schmeckte nach Schwefel. Er klemmte die Flasche wieder zwischen die Steine hinter der durchgefaulten Matratze.
    Ohne die Wachen aus den Augen zu lassen, zog er den Brief aus der Hosentasche und rollte ihn in der Hand zusammen. Das silberne 25-Peseta-Stück hielt er zwischen Daumen und Zeigefinger, das Papier war in der Höhlung der Hand kaum zu sehen. Die Frau, die das Essen verkaufte, war arm. Wenn sie eine Peseta für das Porto ausgab, blieben ihr noch 24. Das mußte reichen.
    Die Bewegung begann zuerst in den Zellen auf der linken Seite und rollte in trägen Wellen weiter, bis sie die Wachen erreichte. Sie drehten sich um, hörten auf zu reden und schauten an der Mauer hoch. Zehn Meter. Gegen den blauen Himmel hob sich der Kopf der Frau schwarz und klein ab. Dann kam ihr schriller Signalschrei, und der Korb senkte sich langsam herunter. Die Guardias legten die Hände an die Pistolentaschen. Sie standen jetzt mit dem Rücken zur Mauer, mit dem Gesicht zu den Zellen, die wie hungrige Mäuler aus der Mauer herausgähnten.
    »Harry!«
    Er sah auf.
    Miguel grinste aus der Nachbarzelle herüber. Seine Zähne blinkten. »Harry«, sagte er noch einmal, betonte den Namen auf der zweiten Silbe, rieb das r im Gaumen: »Kannst du mir zehn Pesetas leihen?«
    »Lo siento mucho.« Harry versuchte zu lächeln: »Ich hab selber nichts mehr ... Mierda.«
    Miguels Zähne waren so weiß wie die Steinquader in der Sonne.
    Harry stand auf. Die Eidechse huschte weg. Er folgte Miguel und den anderen Gefangenen langsam zu dem Korb, der an der Mauer herunterkroch. Schweiß tropfte in seine Augen. Die Hand mit dem Geld und dem Brief zitterte.
    Er wartete, bis er dran war. Dann hob er hastig die Hand über den Korb. Das Geldstück glitschte aus seinen Fingern, der Brief klebte fest. Und er sah aus wie ein Brief, nicht wie diese Zettel mit den Essenbestellungen. Die Wachen glotzten schläfrig. Harry schüttelte die Hand, der Brief fiel in den Korb. Harry sah den Korb nach oben klettern. Schneller, dachte er – mach schon!
    Der Korb hatte fast die halbe Mauer geschafft, als einer der Guardias plötzlich munter wurde. Er pfiff. Der Korb stockte mitten in der Bewegung, dann kam er wieder zurück.
    Der Guardia holte das Geld und den Brief aus dem Korb. Er sah Harry an. Das Koppelschloß und die Metallknöpfe an seiner Uniform funkelten.
    Harry zuckte die Achseln. »Es ist mein Recht, einen Anwalt zu sprechen!« Sein Spanisch war holprig.
    Der Guardia schüttelte den Kopf. »Keine Briefe. Verboten!«
    »Verdammt, ihr könnt mich doch nicht hier im Knast verfaulen lassen!«
    Sie sahen ihn unbewegt an. Harry drehte sich um und ging über den Hof zu seiner Zelle zurück. Scheißpack! Eidechsen liefen vor seinen Füßen davon. Aber die 25 Pesetas einstecken. Wenn ich wenigstens genug hätte, um die Kerle zu schmieren ... Und ab morgen wieder die staatliche Ration. Drei Duros oder was. Brot und Fisch. Nicht mal genug für Wein – Mahlzeit! Na ja, bis morgen ...
    Harry hockte sich auf die äußerste Kante seiner Matratze und holte das Haschischbröckchen aus dem Schuh, in der Zigarettenpackung waren noch fünf Celtas. Er nahm eine und bröselte vorsichtig den Tabak in die Handfläche. Eigentlich noch zu früh. Wenn sie mich jetzt damit erwischen – Sense. Aus. Kein Nachschub. Drüben auf der Insel wäre es kein Problem; aber hier, im »richtigen« Gefängnis auf dem Festland, herrschten strengere Sitten ... Ach was; die sind jetzt beschäftigt ... Er lächelte. Schabte mit dem Fingernagel die Hälfte von dem graubraunen Brocken in den Tabak, setzte die leere Papierhülle an den Mund, zog die Krümel sanft hinein und drehte die Zigarette zwischen den Fingern.
    Der Hof vor seiner Zelle war leer. Die ruhigste Zeit des Tages. Essen, dann Siesta. Die erste Hälfte der Wachposten war schon oben im Verwaltungstrakt verschwunden. Die anderen standen wieder in der Ecke und redeten. Einer erzählte einen Witz. Gelächter.
    Harry drückte das Zigarettenpapier an beiden Enden leicht zusammen, schob den Joint zwischen die Lippen und nahm die Streichhölzer aus der Tasche. Die Mauer war feucht, und das Schwefelhölzchen rieb sich fast vollständig ab, bevor es endlich Feuer fing. Harry wartete, bis das Wachs brannte, und hielt es an die Zigarette. Der Rauch traf heiß auf seine Zunge, er
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