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Tod in Garmisch

Titel: Tod in Garmisch
Autoren: Martin Schueller
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Untergrund.
Sie, seine sogenannten Freunde! Wenn sie wüssten, wären sie kaum mehr seine
Gefolgschaft. Schon jetzt hatte er genug Neider, aber er hatte sie bisher
mundtot machen können durch seine Leistung, durch sein sicheres Auftreten. Und
durch seine waghalsigen Aktionen.
    Er lachte kurz auf, das Leben war Risiko, seines war jeden Tag
Risiko, und da wollte er sich wegen einer Lawinenwarnstufe grämen! Er kannte
diesen Berg wie keinen anderen, sie hatten sich bekämpft, er hasste und liebte
ihn. Er hatte lange Jahre gebraucht, bis er so entspannt wie heute auf dem
Gipfel stehen konnte. Er war atemloser gewesen, seine Muskeln hatten sich
verkrampft. Aber er hatte viele Berge niedergerungen und seinen Körper. Heute
war er am Zenit seiner körperlichen Kraft. Und den Rest würde er auch schaffen.
Der Aufstieg hatte geholfen, hatte geholfen, den Kopf zu lüften, den ewigen
Kreislauf schlechter Gedanken zu durchbrechen. Er hatte sein Shirt gewechselt,
seinen Tee getrunken. Er zog die Eisen und die Felle ab, das war wie ein
Ritual, eine kultische Handlung. Sorgfältig verstaute er alles im Rucksack, und
dann kam der größte Moment. Er stieß sich ab. Der Schnee war bockig,
Bruchharsch, er war gezwungen, zu springen mit zwei Stöcken, aber auch so etwas
liebte er. Dann kam der Pulverschnee, watteweich, er musste gar nichts mehr
tun. Nur einen ersten Schwung setzte er, alle weiteren waren ein Resultat aus
diesem ersten. Sie geschahen einfach und schufen ein Kunstwerk. Ein perfektes
Zöpfchenmuster. In einem flacheren Stück schwang er ab, sah bergwärts, was für
eine Ebenmäßigkeit war das!
    Dann hörte er das Grollen. Es schwoll an, und da war sie auf einmal,
diese gewaltige Woge aus Schnee, die Riesenwelle, alle Macht der Berggötter
gegen ihn winziges Menschlein. Man bleibt niemals in einem Flachstück stehen,
dachte er noch und begann anzuschieben. Er kämpfte um jeden Meter. Er änderte
seine Richtung, versuchte dem fauchenden Monster über die Seitenflanke zu
entkommen. Immer noch atmete er normal. Das Grollen zerriss ihm fast das
Trommelfell, dann fühlte es sich an, als würde ihm einer in die Kniekehle
treten. Es wurde still. Sehr still. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war.
Ein Gedanke ergriff ihn. Ein baumhoher Gedanke. Ein Gedanke, größer, als sein
Gehirn ihn ertragen konnte. Ein Gedanke, den er niemals zuvor gedacht hatte.
Aber jetzt, jetzt sprengte er fast seinen Kopf.

EINS
    Wie viel, o wie viel
    Welt. Wie viel
    Wege.
    »Ich kann mir nicht helfen. Die hatten einen Wasserschaden, oder?«
Jo verzog das Gesicht.
    Evi grinste. »Meinst du? Eigentlich sieht das doch ganz authentisch
aus.«
    »Bitte?«
    »So sehen eure oberbayerischen Höfe nun mal aus.« Evi gluckste.
    »Jetzt kimm, du fränkisches Eternitplattengewächs, so sieht es
höchstens bei den allergrößten Obergrattlern aus.«
    »Zweierlei nimmt mich wunder.« Evi sprach betont gestelzt. »Dass du
als Allgäuerin ›kimm‹ sagst und dass du wissen willst, wie es im wunderschönen
Aischgrund aussieht. Du warst doch noch nie nördlich der Donau, du Allgäuer
Schluchtenolm. Eternit, pah!«
    Jo lachte, und beide wandten ihren Blick wieder der Szenerie zu. Jo
und Evi waren beim Frühstücken im Café Central gewesen, hatten sündhaft
geschlemmt und fanden sich nun eingekesselt zwischen VW -Bussen und einem Lkw, aus dem Menschen, Equipment und
Klamotten quollen. Der ganze Hauptplatz war umstellt, die Action aber war am
Keppeler. Die Nummer 16 des Keppeler Platzes war sozusagen maskiert. Einst war
es ein harmloses Häusl am Biergarten gewesen, nun war es ein Bauernhaus. Oder
besser das, was sich jemand unter Bauernhaus vorstellte. Überall lehnten Balken
und Bretter, deren Bestimmung absolut nebulös war, an der Hauswand. Strohballen
lungerten unsortiert, wie achtlos abgekippt, vor der Frontseite. Eine ganze
Armada der übelsten Rostlaubenbulldogs – Jo fürchtete, dass der nur noch von
Rost gehaltene Frontlader des einen International jeden Moment abfallen würde –
stand kreuz und quer. Ein windschiefer Kaninchenstall komplettierte das Bild
sowie eine Wäscheleine und einige alte Landwirtschaftsgeräte, Töpfe und
Gießkannen, die sinn- und achtlos vor ebenjenem Hüttchen herumgammelten, das
eigentlich der Getränkeausschank des Biergartens war.
    »Ich sag’s doch: Wasserschaden! Alles, was noch zu retten war, haben
die vor die Tür gestapelt.« Jo schüttelte genervt den Kopf.
    »Das mag dein Auge so sehen, der Herr Regisseur sieht in
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