Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in den Anden

Tod in den Anden

Titel: Tod in den Anden
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
lang dem Regen zu.
    »Ich glaube nicht, daß sie sie umgebracht haben, Tomasito«, sagte Lituma schließlich. »Sie werden sie eher mitgenommen haben, für ihre Miliz. Vielleicht waren die drei sogar Terroristen. Läßt Sendero etwa die Leute verschwinden? Sie bringen sie einfach um und lassen ihre Pappschilder zurück, damit man es weiß.«
    »Pedrito Tinoco, ein Terrorist? Nein, Herr Korporal, das kann ich Ihnen garantieren«, sagte der Gendarm. »Es bedeutet einfach, daß Sendero schon vor der Tür steht. Uns werden die Terroristen nicht für ihre Miliz rekrutieren. Uns werden sie eher zu Hackfleisch machen. Manchmal frage ich mich, ob man Sie und mich nicht als Opferlämmer hierher geschickt hat.«
    »Hören wir auf, uns trübe Gedanken zu machen.« Lituma stand auf. »Mach lieber einen Kaffee bei diesem Scheißwetter. Dann befassen wir uns mit diesem Typen. Wie heißt der letzte?«
    »Demetrio Chanca, Herr Korporal. Vorarbeiter der Sprengbohrer.«
    »Sagt man nicht, aller guten Dinge sind drei? Vielleicht kriegen wir durch diesen letzten das Rätsel der drei gelöst.«
    Der Gendarm nahm die Blechtassen vom Haken und zündete den Spirituskocher an.
    »Als Oberleutnant Pancorvo mir in Andahuaylas sagte, man würde mich hierher ans Ende der Welt versetzen, dachte ich: ›Wie schön, in Naccos werden die Terroristen dir den Garaus machen, Carreñito, und je eher, desto besser‹«, sagte Tomás. »Ich war lebensmüde. Zumindest habe ich das geglaubt, Herr Korporal. Aber bei der Angst, die ich jetzt ausstehe, ist klar, daß ich nicht gerne sterben würde.«
    »Nur ein Schwachkopf will sich verabschieden, bevor er an der Reihe ist«, erklärte Lituma. »Es gibt die tollsten Dinge im Leben, auch wenn man sie nicht gerade in dieser Gegend findet. Wolltest du wirklich sterben? Darf man wissen, warum, bei deinen jungen Jahren?«
    »Warum wohl«, sagte der Gendarm lachend, während er den Kessel auf die blaurote Flamme des Spirituskochers stellte.
    Er war ein magerer, knochiger Junge, aber kräftig,mit tiefliegenden, lebhaften Augen, olivgrüner Haut und weißen, vorstehenden Zähnen, die Lituma in seinen schlaflosen Nächten im Dunkeln der Hütte schimmern sah.
    »Bestimmt hast du Liebeskummer wegen irgendeines Mädchens gehabt«, mutmaßte Lituma und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
    »Wegen wem soll man denn sonst Liebeskummer haben«, sagte Tomasito mit einem Anflug von Rührung. »Außerdem können Sie stolz sein, sie war auch aus Piura.«
    »Eine Landsmännin.« Lituma schmunzelte beifällig. »Was will man mehr.«
    La petite Michèle vertrug die Höhe schlecht – sie hatte über Druck in den Schläfen geklagt, ähnlich wie bei den Horrorfilmen, die sie so gerne sah, und über ein allgemeines, vages Unwohlsein –, aber sie war trotz allem beeindruckt von der Trostlosigkeit und Schroffheit der Landschaft. Albert hingegen fühlte sich prächtig. Als hätte er sein Leben in drei- oder viertausend Meter Höhe verbracht, zwischen diesen spitzen, schneegesprenkelten Gipfeln und den Herden von Lamas, die von Zeit zu Zeit die Piste überquerten. Das Schlingern des alten Busses war so stark, daß es manchmal schien, als wollte er sich ein letztes Mal aufbäumen und den Geist aufgeben in den tiefen Radspuren, den Schlaglöchern, zwischen den Gesteinsbrocken, die seiner mitgenommenen Karosserie alleAugenblicke die größten Anstrengungen abforderten. Sie waren die einzigen Ausländer, aber ihren Reisegefährten schien das französische Paar keiner besonderen Aufmerksamkeit wert. Nicht einmal dann, wenn sie die beiden in einer fremden Sprache sprechen hörten, wandten sie sich zu ihnen um. Sie waren in große Schals, Ponchos und einige auch in Ohrenmützen gehüllt, warm bekleidet für die nahe Nacht und vollgepackt mit Bündeln, Paketen und blechernen Koffern. Sogar gackernde Hühner hatte eine Frau bei sich. Aber weder die unbequemen Sitze noch das Gerüttel, noch die Enge empfanden Albert und la petite Michèle auch nur im geringsten als unangenehm.
    »Geht’s dir besser?« fragte er.
    »Ja, ein bißchen.«
    Und einen Augenblick später sagte la petite Michèle mit lauter Stimme, was auch Albert dachte: Er hatte recht gehabt, als sie sich in der Pension El Milagro in Lima stritten, ob sie die Reise nach Cusco über Land oder im Flugzeug machen sollten. Sie hatte auf dem Flugzeug bestanden, aufgrund der Ratschläge des Herrn von der Botschaft, aber er beharrte so sehr auf dem Bus, daß la petite Michèle am Ende
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher