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Tod in den Anden

Tod in den Anden

Titel: Tod in den Anden
Autoren: Mario Vargas Llosa
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waren Kinder. Außer den Gewehren, den Revolvern, den Macheten und den Knüppeln hielten viele Steinbrocken in den Händen. Der kleine Mann mit Hut war auf die Knie gefallen und schwor, die Finger gekreuzt, den Kopf zum Himmel erhoben. Bis der Kreis sich über ihm schloß und ihnen den Blick auf ihn versperrte. Sie hörten ihn schreien, flehen. Drängelnd, sich gegenseitig anfeuernd, einander nachahmend, fuhren Hände und Steine hinab und hinauf, hinab und hinauf.
    »Wir sind Franzosen«, sagte la petite Michèle.
    »Tun Sie das nicht, Señor«, rief Albert. »Wir sind französische Touristen, Señor.«
    Sie waren fast Kinder, ja. Aber mit rauhen, von der Kälte schwärzlich verfärbten Gesichtern, wie die derben Füße in den aus Autoreifen gefertigten Sandalen, die einige trugen, wie diese Steine in ihren schuppigenHänden, mit denen sie auf sie einzuschlagen begannen.
    »Erschießen Sie uns«, schrie Albert auf französisch, blind, während er la petite Michèle in die Arme nahm und sich zwischen sie und diese grausamen Arme stellte. »Wir sind auch jung, Señor. Señor!«
    »Als ich hörte, daß der Typ sie zu schlagen begann und sie anfing zu wimmern, bekam ich Gänsehaut«, sagte der Gendarm. »Wie beim letzten Mal, dachte ich, genau wie in Pucallpa. Du hast vielleicht ein Glück, du Idiot.«
    Lituma bemerkte, daß Tomás Carreño wütend und unruhig war, während er die Geschichte noch einmal durchlebte. Hatte er vergessen, daß er da war und ihm zuhörte?
    »Als mein Pate mir zum ersten Mal den Auftrag gab, den Chancho zu bewachen, war ich sehr stolz«, erklärte der Junge und schien sich etwas zu beruhigen. »Denken Sie nur. So nah bei einem großen Boß zu sein, mit ihm in die Selva zu reisen. Aber es war mir verdammt schlecht ergangen in der Nacht in Pucallpa. Und jetzt die gleiche Scheiße in Tingo María.«
    »Du hast keinen blassen Schimmer davon gehabt, daß das Leben voller schmutziger Dinge ist«, sagte Lituma.
    »Wo hast du bloß gelebt, Tomasito.«
    »Ich wußte alles vom Leben, aber die Sache mit dem Sadismus hat mir nicht gefallen. Verdammt noch mal,das nicht. Ich habe es auch nicht kapiert. Ich bekam Wut und sogar Angst. Wie konnte er sich nur schlimmer als ein Tier aufführen? Da habe ich verstanden, warum sie ihn Chancho nannten, das Schwein.«
    Ein pfeifender Knall, und die Frau schrie. Verdammt, er schlug auf sie ein. Lituma schloß die Augen und erfand sie. Sie war füllig, ihr Fleisch wogte, ihre Brüste waren rund. Der Boß zwang sie, vor ihm zu knien, nackt, und die Peitschenhiebe hinterließen dunkelviolette Streifen auf ihrem Rücken.
    »Ich weiß nicht, wer mich mehr anwiderte, er oder sie. Was diese Weiber nicht alles machen für Geld, dachte ich.«
    »Na, du warst doch auch wegen Geld da, oder? Hast den Chancho bewacht, während er sich einen Spaß daraus machte, der Nutte die Seele aus dem Leib zu prügeln.«
    »Nennen Sie sie nicht so«, protestierte Tomás. »Auch nicht, wenn sie es wäre, Herr Korporal.«
    »Es ist nur ein Wort, Tomasito«, sagte Lituma entschuldigend.
    Der Junge spuckte wütend nach den Insekten der Dunkelheit. Es war tiefe, heiße Nacht, rings um ihn rauschten die Bäume. Kein Mond stand am Himmel, und die öligen Lichter von Tingo María waren kaum erkennbar zwischen dem Wald und den Bergen. Das Haus lag außerhalb der Stadt, etwa hundert Meter von der Straße entfernt, die nach Aguatía und Pucallpa führte, und durch seine dünnen Holzwändedrangen die Geräusche und Stimmen mit aller Deutlichkeit. Er hörte einen weiteren Knall, und die Frau schrie.
    »Nicht mehr, papacito «, flehte ihre tonlose Stimme.
    »Schlag mich nicht mehr.«
    Carreño kam es vor, als würde der Mann lachen, mit dem gleichen selbstgefälligen kleinen Lachen, das er schon beim vorherigen Mal, in Pucallpa, von ihm gehört hatte.
    »So lacht ein Boß, einer, der das Sagen hat, einer von der Sorte Wer-will-der-kann, ein Weiberheld, der zu viele Soles und Dollars in der Tasche hat«, erklärte er dem Korporal voll altem Groll.
    Lituma stellte sich die schmalen Augen des Sadisten vor: Sie traten aus den Fettpolstern hervor, sie funkelten vor Geilheit bei jedem Wimmern der Frau. Ihn erregten diese Dinge nicht, aber andere anscheinend wohl. Natürlich empörten sie ihn auch nicht so wie seinen Amtshelfer. Was soll man machen, wenn das Scheißleben eben das Scheißleben ist. Brachten die Terroristen nicht aufs Geratewohl Leute um, bloß wegen diesem Märchen von der Revolution? Die fanden
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