Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in den Anden

Tod in den Anden

Titel: Tod in den Anden
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
und her bewegte, tumb wie ein Pappfigur im Karneval.
    »Deswegen! Deswegen!« kreischte die Frau hysterisch.
    »Und was wird jetzt mit uns, verdammt noch mal.«
    »Weil er sich mit seiner Nutte verlustiert hat, hast du ihn umgebracht?« Die Augen des dicken Iscariote rollten in ihren Höhlen, als wären sie aus Quecksilber.
    »Weißt du überhaupt, was du da getan hast, du Unglücksvogel?«
    »Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Mach dir keine Sorgen, es ist nicht deine Schuld. Ich werde es meinem Paten erklären, Dicker.«
    »Idiot, Anfänger.« Iscariote hob die Hände an den Kopf. »Rindvieh. Was glaubst du denn, was die Männer mit den Nutten machen, du Schwachkopf.«
    »Die Polizei wird kommen, sie werden Nachforschungen anstellen«, sagte die Frau. »Ich habe nichts damit zu tun, ich muß gehen.«
    »Aber sie konnte nicht fort«, erinnerte sich der Junge, und seine schmalzige Stimme wurde noch sanfter. Lituma dachte: ›Dich hatte es also schon erwischt, Tomasito.‹ Sie tat einige Schritte zur Tür hin, aber sie blieb stehen und kehrte um, als wüßte sie nicht, was sie tun sollte. Sie war völlig verängstigt, die Arme.
    Der Junge fühlte die Hand des dicken Iscariote auf seinem Arm. Er schaute ihn betrübt, mitfühlend an, ohne Zorn jetzt. Er redete sehr entschlossen auf ihn ein:
    »Verschwinde und komm deinem Paten besser nicht mehr unter die Augen, Bruderherz. Der würde dir ein paar Schüsse verpassen, wer weiß, was er mit dir machen würde. Hau ab, verdünnisier dich, und hoffentlich kriegen sie dich nicht. Ich habe immer gewußt, daß du nicht taugst zu solchen Sachen. Hab ich dir das nicht gesagt, als man uns vorgestellt hat?«
    »Ein sehr anständiger Freund«, erklärte der Junge Lituma. »Ich konnte ihn ja auch reinreißen mit dem, was ich getan hatte. Und trotzdem hat er mir zur Flucht verholfen. Ein Dicker wie ein Schrank, ein Gesicht rund wie ein Käse, ein Bauch wie ein Autoreifen. Was mag aus ihm geworden sein.«
    Er streckte ihm seine runde, freundschaftliche Hand entgegen. Tomás drückte sie kräftig. »Danke, Dicker.«
    Die Frau, ein Knie auf den Boden gestützt, wühlte in den Kleidern des Mannes, der reglos dalag.
    »Du erzählst mir nicht alles, Tomasito«, unterbrach ihn Lituma.
    »Ich hab keinen Centavo, ich weiß nicht, wohin ich gehen soll«, hörte der Junge die Frau zu Iscariote sagen, als er schon hinausging, um in die laue Brise einzutauchen, die die Sträucher und das Laubwerk rascheln ließ. »Ich hab keinen Centavo, ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich bestehle ihn nicht.«
    Er rannte los, in Richtung Landstraße, aber nach wenigen Metern begann er im Schritt zu gehen. Wohin sollte er? Er hielt noch immer den Revolver in der Hand. Er steckte ihn ins Halfter am Gürtel seiner Hose, verborgen unter dem Hemd. Es gab keine Fahrzeuge in der Umgebung, und die Lichter von Tingo María wirkten weit entfernt.
    »Ich fühlte mich ruhig, erleichtert, auch wenn Sie es nicht glauben, Herr Korporal«, sagte der Junge. »Wie wenn man aufwacht und begreift, daß der Alptraum nur ein Alptraum war.«
    »Aber warum behältst du das Beste für dich, Tomasito«, wiederholte Lituma lachend.
    Halb überdeckt vom Summen der Insekten und dem Rauschen des Waldes, vernahm der Junge die kleinen eiligen Schritte der Frau, die ihn einzuholen suchten. Dann spürte er sie an seiner Seite.
    »Aber ich verberge Ihnen doch nichts, Herr Korporal. Das ist die ganze Wahrheit. So ist es passiert, genauso.«
    »Der Dicke hat mir nicht erlaubt, auch nur einen einzigen Centavo mitzunehmen«, klagte sie. »Dieser Scheißdickwanst. Ich habe ihn nicht bestohlen, ich habe mir nur was geliehen, um nach Lima zu kommen. Ich hab keinen Centavo. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    »Ich weiß auch nicht, was ich tun soll«, sagte Tomás. Sie stolperten den schmalen kurvenreichen Weg entlang, der mit Laub übersät war, glitten aus in denvom Regen ausgewaschenen Erdlöchern, spürten im Gesicht und an den Händen, wie Blätter und Spinnweben sie streiften.
    »Wer hat dir gesagt, daß du dich einmischen sollst!« Die Frau senkte sofort die Stimme, von Reue erfaßt. Aber einen Augenblick später schimpfte sie erneut, wenn auch verhaltener: »Wer hat dich zu meinem Aufpasser ernannt, wer hat dich gebeten, mich zu beschützen. Ich vielleicht? Jetzt steckst du in der Scheiße und ich auch, ohne jede Schuld.«
    »Nach dem, was du mir erzählst, warst du schon in dieser Nacht in sie verknallt«, erklärte Lituma. »Du hast
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher