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Tod in den Anden

Tod in den Anden

Titel: Tod in den Anden
Autoren: Mario Vargas Llosa
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deinen Revolver nicht deshalb herausgeholt und auf ihn geschossen, weil dich seine Schweinereien mit ihr angewidert haben. Gib zu, daß du eifersüchtig auf ihn warst. Das Wichtigste hast du mir nicht erzählt, Tomasito.«

II
    ›All diese Todesfälle gleiten an den Indios ab‹, dachte Lituma. Am Abend zuvor hatte er in Dionisios Kantine die Nachricht von dem Überfall auf den Bus nach Andahuaylas gehört, und nicht einer der Hilfsarbeiter, die dort tranken und aßen, hatte die geringste Bemerkung gemacht. ›Nie werde ich auch nur die kleinste Scheiße von dem verstehen, was hier passiert‹, dachte er. Die drei Verschwundenen waren nicht vor ihren Familien geflohen, noch hatten sie irgendein Werkzeug aus dem Lager gestohlen. Sie hatten sich von der Miliz der Terroristen anwerben lassen. Oder die hatten sie ermordet und irgendwo in diesen Bergen in einem Loch verscharrt. Aber wenn die Sendero-Leute schon hier waren und Komplizen unter den Hilfsarbeitern hatten, warum hatten sie dann den Posten nicht angegriffen? Warum hatten sie ihn und Tomasito noch nicht hingerichtet? Vielleicht, weil sie Sadisten waren. Sie wollten ihnen die Nerven ruinieren, bevor sie sie mit Dynamit in Stücke sprengten. Sie würden ihnen keine Zeit lassen, die Revolver unter dem Kopfkissen hervorzuholen, und schon gar nicht, zum Kleiderschrank mit den Gewehren zu laufen. Sie würden sich langsam von vier Seiten der Hütte nähern, während sie beide den unruhigen Schlafjeder Nacht schliefen oder während Tomás sich an seine Liebeleien erinnerte und er ihm als Tränentuch diente. Ein Krachen, ein Feuerblitz, Tag mitten in der Nacht: sie würden ihm Hände, Beine und den Kopf gleichzeitig abreißen. Gevierteilt wie Túpac Amaru, Bruderherz. Es konnte jeden Augenblick passieren, vielleicht heute nacht. Und in der Kantine von Dionisio und der Hexe würden die Indios die gleichen unwissenden Gesichter machen wie gestern abend, als sie die Geschichte mit dem Bus nach Andahuaylas hörten.
    Er seufzte und lockerte sein Käppi. Zu dieser Zeit wusch der kleine Stumme gewöhnlich die Wäsche Litumas und seines Amtshelfers. Er tat es hier, wenige Meter entfernt, wie die Indiofrauen: indem er jedes Kleidungsstück gegen einen Stein schlug und dann ausgiebig im Trog spülte. Er arbeitete sehr gewissenhaft, seifte Hemden und Unterhosen immer wieder ein. Dann breitete er die Stücke auf den Steinen aus, mit der gleichen peinlichen Sorgfalt, mit der er alles tat, Körper und Seele auf die Aufgabe konzentriert. Wenn sein Blick sich mit dem des Korporals traf, erstarrte er, wachsam, in Erwartung des Befehls. Und er verbrachte den ganzen Tag mit Verbeugungen. Was mochten die Terroristen mit dieser Seele von Mensch gemacht haben.
    Der Korporal hatte zwei Stunden mit dem obligaten Rundgang verbracht – Ingenieur, Vorarbeiter, Zahlmeister, Bautruppführer und Schichtkollegen des Betreffenden–, den er auch nach dem Verschwinden der anderen absolviert hatte. Mit dem gleichen Ergebnis. Natürlich wußte niemand irgend etwas Wesentliches über das Leben von Demetrio Chanca zu sagen. Natürlich schon gar nicht über seinen gegenwärtigen Aufenthaltsort. Jetzt hatte sich auch seine Frau verflüchtigt. Genau wie die Frau, die das Verschwinden des Albinos Casimiro Huarcaya angezeigt hatte. Niemand wußte, wo sie waren, wann oder warum sie Naccos verlassen hatten.
    »Kommt Ihnen dieses Verschwinden nicht seltsam vor?«
    »Ja, sehr seltsam.«
    »Das gibt doch zu denken, oder?«
    »Ja, das gibt zu denken.«
    »Wurden sie vielleicht von Gespenstern entführt?«
    »Natürlich nicht, Korporal, wer glaubt denn sowas.«
    »Und warum sind auch die beiden Frauen verschwunden?«
    »Tja, warum wohl.«
    Machten sie sich über ihn lustig? Bisweilen schien ihm, als lauere Spott hinter diesen ausdruckslosen Gesichtern, diesen einsilbigen, wie ihm zu Gefallen lustlos hingeworfenen Worten, diesen kleinen undurchsichtigen, mißtrauischen Augen, der Spott der Hochlandbewohner über ihn, der von der Küste stammte und sich in diese Hochebenen verirrt hatte, über die Nervosität, die die Höhe ihm noch immer verursachte,über seine Unfähigkeit, diese Fälle zu lösen. Oder waren sie halbtot vor Angst? Vor panischer Angst, Todesangst vor den Terroristen. Das konnte die Erklärung sein. Wie war es angesichts der tagtäglichen Ereignisse in ihrer Umgebung möglich, daß er bisher noch nie ein einziges Wort über Sendero Luminoso von ihnen gehört hatte? Als existierte die Guerrillabewegung
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