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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau
Autoren: Marek Krajewski
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und zündete sich eine Zigarette an. Er starrte aus dem Fenster, bis er bemerkte, dass er in Mantel und
    Hut da saß, rührte sich jedoch nicht von der Stelle. Einige Minuten später klopfte es an der Tür, und Forstner kam
    herein.
    »In einer Stunde sollen alle hier sein.«
    »Sie sind bereits da.«
    Es war das erste Mal, dass Mock einen anerkennenden,
    wenn auch kühlen Blick auf seinen Assistenten warf.
    »Forstner, bitte melden Sie ein Telefongespräch mit
    Universitätsprofessor Andrae an. Und rufen Sie bei Ba-
    ron Olivier von der Malten an und fragen Sie, wann der
    Baron bereit wäre, mich zu empfangen. Die Einsatzbe-
    sprechung wird in fünf Minuten hier stattfinden.«
    Er irrte sich nicht, Forstner hatte beim Hinausgehen
    wirklich die Absätze aneinander geknallt.
    Die Ermittlungsbeamten und Inspektoren samt ihren
    Assistenten, die Sekretäre und Wachtmeister der Krimi-
    nalabteilung – sie alle wunderten sich nicht beim Anblick
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    ihres unrasierten Chefs und des bleichen Forstner. Sie
    wussten, dass der verstimmte Magen des Letzteren heute
    nichts mit seiner Vorliebe für Grützwurst mit Zwiebeln
    zu tun hatte.
    »Meine Herrschaften, Sie müssen alle gerade in Arbeit
    befindlichen Angelegenheiten beiseite legen.« Mock
    sprach laut und mit Nachdruck. »Wir müssen alle recht-
    mäßigen und unrechtmäßigen Methoden anwenden, um
    den Mörder oder die Mörder zu finden. Sie dürfen prü-
    geln, und Sie dürfen erpressen. Ich werde dafür sorgen,
    dass Ihnen alle geheimen Akten zur Einsicht offen stehen.
    Scheuen Sie keine Kosten bei der Informationsbeschaf-
    fung. Und nun zu den Details: Hanslik und Burck, Sie
    werden jeden verhören, der in irgendeiner Form mit dem
    Kauf und Verkauf von Tieren zu tun hat – beim Lieferan-
    ten des zoologischen Gartens angefangen bis zu den
    Tierhandlungen, wo man Papageien und Goldfische kau-
    fen kann. Ich erwarte Ihren Bericht am Dienstagmorgen.
    Smolorz, Sie werden eine Liste sämtlicher privater Tier-
    halter in Breslau und Umgebung beibringen – auch et-
    waiger Exzentriker, die mit ihrer Anakonda schlafen.
    Und Sie werden sie verhören. Forstner wird Ihnen dabei
    zur Seite stehen. Bericht am Dienstag. Helm und Fried-
    rich, Sie werden die Akten all derer durchforsten, die seit Kriegsende wegen Vergewaltigung oder jedweder sonsti-gen sexuellen Aberration registriert sind. Dabei werden
    Sie Ihr besonderes Augenmerk auf die Tierfreunde rich-
    ten sowie auf alle, die auch nur ansatzweise etwas von
    orientalischen Sprachen verstehen. Bericht Montag-
    abend. Reinert, Sie werden zwanzig Leute zusammen-
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    trommeln und alle Bordelle besuchen, wobei Sie so viele
    Prostituierte verhören werden, wie Sie nur irgend schaf-
    fen. Finden Sie heraus, ob es irgendwelche Sadisten unter
    den Kunden gegeben hat und ob einer beim Orgasmus
    aus dem Kamasutra zitiert hat. Bericht am Dienstag.
    Kleinfeld und Krank – Sie werden keine leichte Aufgabe
    haben. Sie sollen herausfinden, wer die unglücklichen
    Opfer zuletzt gesehen hat. Sie werden mir jeden Tag um
    drei Uhr Bericht erstatten. Meine Herrschaften, der mor-
    gige Sonntag ist kein arbeitsfreier Tag.«

    Breslau, 13. Mai. 1933.
    Elf Uhr vormittags

    Professor Andreae war stur. Er behauptete hartnäckig,
    dass er nur den tatsächlich auf die Tapete geschriebenen
    Originaltext entziffern könne. Er wollte nichts von Foto-
    grafien oder noch so perfekt ausgeführten handschriftli-
    chen Kopien wissen. Auch Mock hegte seit seinem – al-
    lerdings nicht abgeschlossenen – philologischen Studium
    einen großen Respekt vor Handschriften, und so gab er
    nach. Er legte den Hörer auf und veranlasste Forstner,
    aus der Asservatenkammer die Stoffrolle mit den ge-
    heimnisvollen Zeilen zu holen. Er selbst ging während-
    dessen zum Chef der Kriminalabteilung Dr. Heinrich
    Mühlhaus und stellte ihm seinen Aktionsplan vor. Der
    Direktor gab keinen Kommentar dazu ab, weder Lob
    noch Tadel, und machte auch keine Vorschläge. Er er-
    weckte den Eindruck eines Großvaters, der mit nachsich-
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    tigem Lächeln den versponnenen Träumereien seines
    Enkels zuhört. Immer wieder strich er sich über seinen
    grau melierten Bart, rückte seinen Zwicker zurecht, paffte seine Pfeife und blinzelte. Derweil versuchte Mock die
    Augen offen zu halten und sich auf das Bild seines Vorge-
    setzten zu konzentrieren.
    »Junger Mann, bleiben Sie wach«, donnerte Mühlhaus
    unvermittelt. »Ich weiß, dass Sie müde sind.«
    Er trommelte mit seinen gelben
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