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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau
Autoren: Marek Krajewski
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und aufgebracht diskutierte. Genau in dem Mo-
    ment traf auch der Polizeifotograf Helmut Ehlers mit sei-
    nem charakteristischen Hinken ein.
    Ein älterer Polizist mit einer Öllampe in der Hand kam
    auf Mock zu, auch er war zu dem Ort des makabren
    Verbrechens abkommandiert worden.
    »Kriminalwachtmeister Emil Koblischke, melde gehor-
    samst.« Er stellte sich wie gewohnt vor – völlig unnöti-
    gerweise, denn Mock kannte seine Untergebenen gut.
    Koblischke hielt die Hand über seine Zigarette und blick-
    te Mock aufmerksam an.
    »Wenn Sie und ich zusammentreffen, ist immer etwas
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    Schlimmes geschehen.« Er wies mit dem Blick in Rich-
    tung des Salonwagens mit dem Schild Berlin-Breslau .
    »Und das hier sieht sehr schlimm aus.«
    Im Gang des Wagons umringten die drei vorsichtig die
    Leiche eines Eisenbahners. Sein aufgedunsenes Gesicht
    war zu einer Maske des Schmerzes erstarrt. Blutspuren
    waren keine zu sehen. Koblischke packte den Leichnam
    am Kragen und setzte ihn auf, der Kopf des Eisenbahners
    fiel zur Seite. Als der Polizist den Uniformkragen losließ, beugten sich Mock und Forstner hinunter.
    »Komm näher mit der Lampe, Emil, man kann ja
    nichts sehen«, befahl Mock.
    Koblischke stellte die Lampe auf den Boden und drehte
    den Leichnam auf den Bauch. Er befreite einen Arm aus
    Uniform und Hemd und riss die Kleidung des Toten
    herunter, sodass Rücken und Schultern bloßlagen. Er
    hielt das Licht näher. Auf Nacken und Schulterblatt
    konnte man einige rote Flecken und eine bläuliche
    Schwellung erkennen. Zwischen den Schulterblättern des
    Eisenbahners lagen drei zerquetschte Skorpione.
    »Können denn drei solche Insekten einen Menschen
    töten?« Forstner bewies zum ersten Mal seine Ignoranz.
    »Das sind keine Insekten, sondern Spinnentiere.«
    Mock bemühte sich nicht, den verächtlichen Ton in sei-
    ner Stimme zu unterdrücken. »Außerdem sollte man erst
    die Ergebnisse der Autopsie abwarten.«
    Wenn die Polizisten im Falle des Eisenbahners noch
    Zweifel hatten, so war die Todesursache der beiden Frau-
    en, die im Salon aufgefunden worden waren, mehr als of-
    fensichtlich.
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    Mock ertappte sich oft dabei, dass nach einer tragi-
    schen Nachricht zuallererst ganz gewissenlose Gedanken
    auf ihn einstürzten und dass ein erschütternder Anblick
    ihn – amüsierte. Als seine Mutter in Waidenburg gestor-
    ben war, war ihm als Erstes die absurde Frage durch den
    Kopf geschossen: Was sollte man nun mit dem alten rie-
    sengroßen Sofa tun, das weder durch die Tür noch durch
    das Fenster passte? Und beim Anblick der mageren, blei-
    chen Waden eines wahnsinnigen Bettlers, der einen klei-
    nen Hund vor dem ehemaligen Polizeipräsidium an der
    Schuhbrücke 49 zu Tode gequält hatte, war er in albernes
    Gelächter ausgebrochen. So war es auch jetzt: Als
    Forstner in einer Blutlache auf dem Boden des Salonab-
    teils ausrutschte, prustete Mock los. Diese Reaktion des
    Kriminalrates kam für Koblischke völlig unerwartet. Er
    hatte in seinem Leben schon viel gesehen, doch der An-
    blick im Salon stellte alles bisher Erlebte in den Schatten
    – Koblischke wurde von einem nervösen Schaudern ge-
    schüttelt. Forstner verließ eilig den Wagon, und Mock
    begann mit seiner Inspektion.
    Die siebzehnjährige Marietta von der Malten lag, von
    der Taille abwärts entblößt, auf dem Boden. Ihr dichtes,
    aufgelöstes aschblondes Haar war blutdurchtränkt wie
    ein Schwamm. Das Gesicht war in einer Weise verzerrt,
    als sei es mitten in einem heftigen Anfall plötzlich von einer Lähmung ergriffen worden. Aus ihrem aufgeschnit-
    tenen Leib quollen die Gedärme heraus. Auch der Magen
    war aufgerissen, man konnte in ihm noch Reste von halb
    verdauter Nahrung erkennen. Mock hatte kurz den Ein-
    druck, als bewegte sich etwas in der Bauchhöhle. Er über-
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    wand seinen Ekel und beugte sich tiefer über den Körper
    des Mädchens. Der Gestank war unerträglich. Mock
    schluckte. Mitten in Blut und Schleim krabbelte ein klei-
    ner, flinker Skorpion.
    Forstner erbrach sich heftig in der Toilette. Koblischke
    machte einen erschrockenen Satz zur Seite, da etwas un-
    ter seiner Sohle geknirscht hatte.
    »Scheiße, da sind noch mehr davon!«, schrie er.
    Sie durchsuchten alle Ecken des Abteils genau und
    fanden noch drei weitere Skorpione, die sie sofort er-
    schlugen. »Ein Glück, dass keins von den Viechern je-
    manden von uns erwischt hat!«, keuchte Koblischke.
    »Sonst würden wir jetzt so wie der da auf dem Gang
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