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Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau
Autoren: Marek Krajewski
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Schach-
    spielerinnen. Er warf Madame noch ein kurzes »Gute
    Nacht!« zu und lief die Treppe hinunter, wo er auf seinen
    Assistenten Max Forstner stieß, der in der Halle nahe ei-
    ner Kristalllampe stand, die warnend klirrte.
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    »Baronesse Marietta von der Malten ist vergewaltigt
    und ermordet worden«, stieß Forstner hervor.
    Mock lief hinaus auf den Vorplatz, stieg in seinen
    schwarzen Adler, warf die Tür ein wenig zu heftig zu und
    zündete sich eine Zigarette an. Forstner setzte sich
    diensteifrig hinter das Steuer und ließ den Motor an. Sie
    fuhren schweigend. Als sie die Lohe-Brücke überquerten,
    kam Mock endlich zu sich.
    »Wie haben Sie mich hier gefunden?«, fragte er und
    blickte auf die Mauer des städtischen Friedhofs, die rechts an ihnen vorbeizog. Vor dem dunklen Hintergrund des
    Himmels zeichnete sich deutlich das dreieckige Dach des
    Krematoriums ab.
    »Direktor Mühlhaus hat es mir geflüstert.« Forstner
    zuckte mit den Schultern, als wolle er sagen: »Schließlich wissen doch alle, wo Mock freitags anzutreffen ist.«
    »Unterlassen Sie diese Gesten, Forstner!« Mock sah
    ihn scharf an. »Sie sind immer noch mein Assistent.«
    Das sollte drohend klingen, aber es machte auf
    Forstner nicht den geringsten Eindruck. Mock ließ
    Forstners breites Gesicht nicht aus den Augen (Du kleine, fette, rothaarige Kanaille!) , und wieder einmal wusste man nicht, wer, gegen alle Vernunft, entschieden hatte,
    diesem unverschämten Untergebenen eine solche Positi-
    on zu verschaffen. Es war nicht leicht gewesen, als
    Forstner zusammen mit der Riege des neuen Polizeiprä-
    sidenten und fanatischen Nazis, SA-Obergruppenführer
    Edmund Heines, in der Kriminalabteilung aufgenommen
    wurde. Mock hatte in Erfahrung gebracht, dass sein Assi-
    stent nicht nur ein Protegé Heines war, sondern dass
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    Forstner auch noch mit seinen guten Beziehungen zum
    neuen schlesischen Gauleiter Helmuth Brückner prahlte,
    den die Nazis erst nach den gewonnenen Reichstagswah-
    len eingesetzt hatten. Aber Mock arbeitete bereits fast ein Vierteljahrhundert bei der Polizei, und er wusste, dass
    man jeden kaltstellen konnte. Solange er am Ruder und
    der alte Freimaurer und Liberale Heinrich Mühlhaus
    Chef der Kriminalabteilung war, konnte er Forstner je-
    doch bestenfalls in wichtigen Angelegenheiten einfach
    nicht einsetzen und ihn stattdessen zur Registrierung der
    Prostituierten vor dem Hotel Savoy am Tauentzienplatz
    abkommandieren, oder zur Ausweiskontrolle der Homo-
    sexuellen unter dem Kaiser-August-Denkmal auf der
    Promenade vor der Akademie der schönen Künste. Am
    meisten ärgerte es Mock, dass er keine einzige Schwäche
    von Forstner kannte – in seinen Akten war nicht der ge-
    ringste dunkle Fleck zu finden. Und aus seiner täglichen
    Beobachtung konnte er nur eines schließen, das auf die
    Kurzformel »bornierter Pedant« gebracht werden konnte.
    Zwar hatte die enge Beziehung zu Heines, von dem all-
    gemein bekannt war, dass er eine Neigung zur Päderastie
    besaß, in Mock einen vagen Verdacht aufkommen lassen,
    doch das war noch keine ausreichende Handhabe, um
    sich diesen Gestapo-Spitzel gefügig zu machen.
    Sie kamen am Sonnenplatz an. Die Stadt pulsierte vor
    Leben. In der Straßenbiegung kreischte die Trambahn,
    mit der die Arbeiter zur zweiten Schicht in die Fabriken
    von Linke, Hofmann und Lauchhammer fuhren, das
    Licht der Gaslaternen flackerte. Sie bogen nach rechts in
    die Gartenstraße ein: Vor der Markthalle drängten sich
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    die Fuhrwerke mit ihren Kartoffel- und Kohllieferungen,
    der Wächter des großen Jugendstilgebäudes an der Ecke
    Theaterstraße reparierte schimpfend die Lampe über dem
    Eingang, und zwei betrunkene Burschenschaftler hatten
    nichts Besseres zu tun, als ein paar Prostituierte anzupö-
    beln, die mit ihren Schirmen vor dem Konzerthaus auf
    und ab defilierten. Sie passierten den Autosalon Kot-
    schenreuther und Waldschmidt, den schlesischen Land-
    tag und einige Hotels. Vom nächtlichen Himmel fiel ein
    feiner Sprühregen.
    Der Wagen hielt auf der Rückseite des Hauptbahnhofs,
    in der Teichäckerstraße gegenüber der öffentlichen Bade-
    anstalt. Sie stiegen aus. Sofort waren ihre Mäntel und Hü-
    te mit Feuchtigkeit überzogen, der Nieselregen setzte sich auf die dunklen Bartstoppeln von Mock und auf die glatt
    rasierten Wangen Forstners. Sie stolperten über die
    Schienen, um auf das Nebengleis zu gelangen, wo bereits
    eine Gruppe Eisenbahner und uniformierter Polizisten
    stand
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