Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod in Breslau

Tod in Breslau

Titel: Tod in Breslau
Autoren: Marek Krajewski
Vom Netzwerk:
Schmierfinken vor meinem Haus
    entfernen? Und zweitens: Hol mir Dr. Georg Maass aus
    Königsberg nach Breslau. Er ist ein hervorragender Ken-
    ner der Geschichte des Okkultismus, der auch auf dem
    Gebiet der orientalischen Sprachen äußerst bewandert ist.
    Er wird dir dabei behilflich sein, die Täter dieses Ritualmordes zu finden – ja, es war ein Ritualmord, du hast
    dich nicht verhört. Drittens, wenn du den Mörder hast –
    übergib ihn mir. Das sind meine Ratschläge, Bitten oder,
    wenn du so willst: Bedingungen. Das ist alles. Rauch in
    Ruhe deine Zigarre zu Ende. Adieu.«
    Der Rat hatte kein Wort gesagt. Er kannte von der
    Malten aus Studententagen und wusste, dass es keinen
    Sinn hatte, mit ihm zu diskutieren. Es war schon immer
    so gewesen, dass der Baron nur auf sich selbst gehört und
    den anderen Anweisungen erteilt hatte. Eberhard Mock
    hatte zwar schon lange aufgehört, Befehle zu befolgen –
    als solche hätte man das liebenswürdige Brummen seines
    Chefs Mühlhaus auch kaum auffassen können. Doch in
    diesem Fall konnte Mock kaum Nein sagen – denn ohne
    Baron von der Malten wäre ihm der Titel eines Kriminal-
    rats wohl nie zuerkannt worden.
    31
    Breslau, 13. Mai 1933.
    Ein Uhr nachmittags

    Mock gab die Anweisungen bezüglich der Journalisten
    und Dr. Maass an Forstner weiter und rief Kleinfeld zu
    sich.
    »Gibt es etwas, was Hirschberg verdächtig macht?«
    »Nein.«
    »Ich möchte ihn noch verhören. Bestellen Sie ihn um
    zwei Uhr hierher.«
    Mock spürte, dass es mit seiner Beherrschung, für die
    er doch so berühmt war, nicht mehr weit her war. Er
    fühlte sich, als hätte er Sand in den Augen, seine Zunge
    war geschwollen und mit einem bitteren Belag überzo-
    gen, der nach Nikotin schmeckte. Er atmete schwer, sein
    schweißdurchtränktes Hemd klebte ihm am Leib.
    Schließlich ließ er eine Droschke kommen und fuhr zur
    Universität.
    Professor Andreae hatte gerade seine Vorlesung über
    die Geschichte des Nahen Ostens beendet. Mock stellte
    sich vor. Der Professor beäugte den unrasierten Polizi-
    sten argwöhnisch und bat ihn dann in sein Arbeitszim-
    mer.
    »Herr Professor, Sie halten an unserer Universität
    schon seit dreißig Jahren Vorlesungen. Auch ich habe vor
    vielen Jahren einmal das Vergnügen gehabt, einer Ihrer
    Hörer zu sein, als ich vor langer Zeit Altphilologie stu-
    diert habe … Es gab unter den Studenten auch solche, die
    dann ganz auf die Orientalistik umgestiegen sind. Erin-
    32
    nern Sie sich vielleicht noch an den einen oder anderen
    ihrer ehemaligen Studenten, der irgendwie ein abwei-
    chendes Verhalten an den Tag gelegt hat, der einen Hang
    zu Perversionen vermuten ließ …?«
    Andreae war ein kleiner, vertrockneter Alter mit kur-
    zen Beinen und einem in die Länge gezogenen Rumpf.
    Jetzt saß er in seinem riesigen Arbeitsstuhl, sodass er mit den Füßen in der Luft schaukeln konnte. Mock kniff die
    Augen zusammen und unterdrückte ein Grinsen: Er stell-
    te sich vor, wie leicht man eine Karikatur dieses Männ-
    chens zeichnen könnte: ein paar senkrechte Striche – Na-
    se und Ziegenbärtchen, und drei waagrechte Striche –
    Augen und Mund.
    »Das Geschlechtsleben der Orientalistikstudenten –«,
    der dünne Strich von Andreaes Mund wurde noch dün-
    ner »denn, wie Sie treffend bemerkt haben, ›es gab auch
    solche‹ –, interessiert mich genauso wenig wie Ihre …«
    Ein Feuerwehrwagen fuhr mit durchdringendem Ge-
    heul durch die Ursulinenstraße, und Mock war über-
    zeugt, dass genau dieses Geräusch etwas mit ihm durch-
    gehen ließ. Er stand auf, ging zum Schreibtisch, packte
    beide Handgelenke des Professors, hielt sie auf die Arm-
    lehnen seines Arbeitsstuhls gepresst und näherte sein Ge-
    sicht dem Ziegenbärtchen.
    »Jetzt hör mir gut zu, du alter Bock, vielleicht warst du
    es, der das siebzehnjährige Mädchen umgebracht hat?
    Vielleicht hast du sie erst noch ein bisschen in deinem lä-
    cherlichen Turban herumgejagt, wie du es so schätzt, du
    grotesker Wicht? Und dann hast du ihr vielleicht mit
    dem Krummdolch ihren Bauch aufgeschlitzt?« Er ließ
    33
    den Professor los, setzte sich wieder auf seinen Stuhl und fuhr sich mit den Fingern durch sein schweißnasses
    Haar.
    »Es tut mir Leid, Herr Professor, aber ich werde die
    Expertise über den Text von jemand anderem anfertigen
    lassen. Übrigens: Sie brauchen nicht zu antworten. Ich
    weiß es. Aber wollen Sie, dass es der Dekan der Philoso-
    phischen Fakultät erfährt, oder Ihre
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher