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Tod im Palazzo

Tod im Palazzo

Titel: Tod im Palazzo
Autoren: Magdalen Nabb
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war, als zerrte eine schwere Traurigkeit an ihm. Dieses Gefühl hatte er seinerzeit empfunden, als er von Corsi geträumt hatte, und jetzt hatte es sich auf Neri übertragen, dessen Augen, die gleichen Augen, ihn hilflos ansahen.
    »Ist es vorbei?«
    Dann wandte er sich ab und fragte, fast so, als wollte er die Antwort nicht hören: »Catherine?«
    »Wir haben vor einer Stunde ihre Leiche gefunden. Die beiden Männer, die sie umgebracht haben, sind schon verhaftet. Es ist vorbei.«
    Neri ließ den abgewandten Kopf sinken und schwieg einen Moment.
    Dann murmelte er ganz leise: »Est in horto, Phylli, nectendis apium coronis; est hederae vis multa, qua crinis religata fulges… Qua crines religata fulges…«
    Die Stimme erstarb, und eine Träne fiel auf eine seiner großen, steifen Hände.
    »Amen«, sagte der Wachtmeister, da er Neris Worte für ein Gebet gehalten hatte.
    Beschreiben Sie, in welcher Position die Leiche gefunden wurde, wie war sie bekleidet?
    Die Leiche lag in der Mitte des Hofs, bäuchlings hingestreckt, den Kopf in Richtung Brunnen gedreht. Sie war korrekt gekleidet.
    Die zwei dicken Finger hielten über den Tasten an. Dem Wachtmeister war aufgefallen, daß er Neri, nachdem er von Catherines Tod berichtet hatte, alleingelassen hatte, damit er die Nachricht verdauen und selber entscheiden konnte, was er wissen, was er erzählen wollte. Er hatte sich vorgestellt, kurz zu William hinunterzugehen, bei ihm vorbeizuschauen und dann mit den Männern im Keller zu sprechen. Er wollte, daß der Krankenwagen direkt bis an die Kellertür heranfuhr – dafür war genügend Platz –, so daß Catherines Leichnam diskret weggebracht werden konnte. Gerade war ihm eingefallen, daß sie natürlich William bitten würden, die Leiche an Ort und Stelle zu identifizieren, wenn er sich nicht einschaltete… Er war schon aufgestanden, zögerte aber noch.
    »Entschuldigung.«
    Er war ans Fenster getreten und hatte hinuntergesehen. Inzwischen waren dort sehr viel mehr Menschen, und obwohl er das von so großer Höhe aus unmöglich erkennen konnte, vermutete er, daß auch ein paar Journalisten gekommen waren.
    Die großen Flügeltüren waren weit geöffnet, das heißt, der Krankenwagen wurde erwartet. In dem Moment hatte er beschlossen, hinunterzugehen. Aber plötzlich hatte Neri hinter ihm gestanden.
    »Herr Wachtmeister, verzeihen Sie bitte. Es war nur ein kurzer Augenblick… Ich habe sie besonders gern gehabt, wissen Sie. Ihre Freundlichkeit und…«
    »Sicher, ich verstehe.«
    »Pater Benigni… Er hatte recht. Wenn es nicht wahr gewesen wäre, hätte ich furchtbares Leid und Kummer verursacht, völlig grundlos… und Catherine hat mir gesagt, daß sie weggehen will, also habe ich gewartet. Ich habe gewartet… jetzt muß ich tun, was in Gottes Augen recht ist, aber ich möchte Sie um einen Gefallen bitten… setzen Sie sich, bitte.«
    Vielleicht hatte Neri recht gehabt mit seinem Hinweis auf die nachlassende Wirkung der Tabletten. Obwohl die Lippen noch immer bläulich verfärbt waren, hatte sein Teint eine normalere Farbe angenommen. Oder lag es daran, daß das zartrosa Licht aus dem hohen Zimmer gewichen war?
    »Pater Benigni hat mit zwei Dingen recht gehabt: wir können nicht die Sünden anderer beichten, und die Menschen neigen dazu, im Zorn unsinnige, unbegründete Sachen zu sagen. Sie wollen bloß verletzen. In diesem Fall, Herr Wachtmeister, war es mein Vater, der tödlich getroffen wurde, und ich… ich habe…«
    »Nein«, sagte der Wachtmeister mit fester Stimme. »Sie haben niemandem weh getan. Sie haben Catherine Yorke geliebt, nicht wahr?«
    Er war verblüfft. Bestimmt hatte er seinen Gefühlen nie einen Namen gegeben, und vielleicht konnte das gedämpfte und kindliche Durcheinander, das, aus sich selbst heraus lebend, in seinem Kopf existierte, in Wahrheit auch gar nicht Liebe genannt werden. Aber was immer es war, es existierte und steigerte das Schuldbewußtsein dieser beladenen Seele nur noch mehr.
    »Mein Vater hat sie geliebt… vielleicht wissen Sie das ja inzwischen.«
    »Ja.«
    »In dieser Nacht sagte er, daß sie… daß sie ein Kind von ihm erwartet. Da habe ich ihn verstanden. Es gab nie Zeit, mit ihm zu sprechen, es ihm zu sagen, und jetzt ist er tot. Mir ist klar, daß er Catherine geliebt hat, daß es aber der Gedanke an das Kind war, der ihn zu seinem Entschluß gebracht hat. Ein gesundes, normales Kind, Herr Wachtmeister. Schauen Sie mich an. Was für ein Sohn bin ich ihm denn gewesen? Er
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