Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod im Palazzo

Tod im Palazzo

Titel: Tod im Palazzo
Autoren: Magdalen Nabb
Vom Netzwerk:
alles vorbei war, konnte er zumindest sich selbst eingestehen, daß er keine große Lust verspürt hatte, sich mit der Szene im Innenhof abgeben zu müssen. Tatsächlich hatte ihn auch kaum jemand bemerkt. Der Oberstaatsanwalt hatte ihn flüchtig gesehen, doch dessen ganze Aufmerksamkeit galt der Marchesa, so daß er wartete, bis sie beruhigt und weggeführt worden war, dann ging er über den halbdunklen, ruhigen Innenhof und trat hinaus auf die laute Straße. Dort blieb er stehen, wartete eine Verkehrslücke ab und holte tief und erleichtert Luft, als ihn das helle Licht von Gino's und der Duft heißer Pizza in das Leben und in die schöne Normalität zurückholte.
    Und nun saß er in seinem Büro in der Carabinieriwache vom Palazzo Pitti, zwei dicke Finger auf den Tasten der Schreibmaschine, und erforschte sein Gewissen. Zu schaffen machte ihm die Tatsache, daß sein Gewissen nicht protestiert hatte, nachdem er sich darüber klargeworden war, was er in seinen Abschlußbericht schreiben sollte. Das kam erst später, als der Oberstaatsanwalt ihn gebeten hatte, das zu tun, was er ohnehin beabsichtigt hatte. Ein solcher Mann… na ja, grob gesagt, wenn man einem solchen Mann zustimmte, mußte man genauso schlecht sein wie er. Der Wachtmeister konnte den Oberstaatsanwalt nicht leiden. Ein kleiner Beamter wie er konnte davon ausgehen, daß er sein Leben lang den Oberstaatsanwalt nicht zu sehen bekommen würde. Selbst die Staatsanwälte, die die Fälle leiteten, mit denen er hin und wieder zu tun hatte, pflegten normalerweise mit den Vorgesetzten des Wachtmeisters direkt zu kommunizieren. Er tippte »In den Abendstunden des 24. Juni« und hielt inne. Einem solchen Mann zuzustimmen… Daß zwei völlig verschiedene Menschen aus zwei völlig verschiedenen Gründen zu den gleichen Schlußfolgerungen kommen könnten, erschien dem Wachtmeister unvorstellbar. Logisches Denken war nicht seine Stärke. Das Schreiben von Berichten auch nicht, selbst wenn es einfache Ermittlungsprotokolle waren, und dieser hier war alles andere als einfach. Was hatte seine Frau gleich gesagt, als sie sich einmal wegen irgendeiner Sache gestritten hatten und er erklärt hatte, daß es nicht richtig sei. »Vielleicht ist es nicht richtig«, hatte sie erwidert, »aber was richtig ist, muß nicht immer gut sein.«
    Er war damals viel zu wütend gewesen, um sie zu fragen, was das bedeuten sollte, aber jetzt bedauerte er, sie nicht gefragt zu haben, denn es bezeichnete seine eigenen Gefühle… »In den Abendstunden des 24. Juni…«
    »Phhh!«
    Er riß den Bogen aus der Schreibmaschine und zerknüllte ihn mit einer Hand. Mit seinen großen Glupschaugen starrte er auf den Straßenplan an der gegenüberliegenden Wand. Die Sonne schien darauf. Er schwitzte. Hunger hatte er auch. Ein Ausspruch fiel ihm ein: »Wer mit hohen Leuten verkehrt, ist der letzte bei Tisch und der erste am Galgen.«
    Der junge Engländer hatte ihn aufgesagt oder vorgelesen. Wohl wahr. Wieder spürte er die schönen Augen der Marchesa Ulderighi, die sich ihm bei jenem ersten Mal zugewandt hatten, so daß er sich wie ein niedriges Wesen vorkam, das die Luft verunreinigte, die sie einatmete. Die Erinnerung daran beschämte ihn, und verärgert über seine eigene Schwäche stand er auf und ging im Zimmer auf und ab. Dabei kollidierte er immer wieder mit dem Gummibaum, den seine Frau gekauft und vor das Fenster gestellt hatte, genau dorthin, wo er sonst immer stand und hinausblickte. Ächzend, denn er selbst war mehr als nur ein bißchen übergewichtig, wuchtete er den schweren Topf zur Seite und öffnete das Fenster. Vom Boboli-Garten strömte warme Luft herein und mit ihr der intensive Geruch von Tomatensoße mit Knoblauch und Basilikum, das Geräusch von Geschirrklappern und das Zeitzeichen der Mittagsnachrichten. Die Jungs waren also schon oben in der Kantine beim Essen, und er hatte die Zeit vergessen! Mit einem Seufzer der Erleichterung schloß er das Fenster und verließ sein Büro. Ein gutes Mittagessen, ein kleines Schläfchen, mit Teresa und den Kindern ein wenig plaudern, und dann würde er noch einmal anfangen, ganz von vorn.
    Angefangen hatte es, zumindest für den Wachtmeister, am zweiten Sonntag im Juni und mit der ersten Runde des Fußballturniers. Die ganze Sache ging eigentlich auf diese blödsinnige Fußballgeschichte zurück und auf die kalten Augen der Marchesa Ulderighi. Nicht, daß der Wachtmeister etwas gegen Fußball hatte, das heißt, richtigen Fußball, dem er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher