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Tod im Palazzo

Tod im Palazzo

Titel: Tod im Palazzo
Autoren: Magdalen Nabb
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wegzuschaffen.
    »Sie wollen also nicht, daß er sie identifiziert?«
    »Ich werde Dr. Martelli darum bitten. Sie war Patientin bei ihr.«
    »Gut, ich werde es ihnen sagen…«
    Lorenzini hielt inne und tippte den Wachtmeister am Arm.
    »Schauen Sie mal, wer da kommt!«
    Jemand hinter ihnen, wahrscheinlich einer der Journalisten, flüsterte: »Die Marchesa.«
    Sie trug sehr elegante Trauerkleidung. Fast gleichauf folgte der Oberstaatsanwalt. Im Durchgang klingelte sie nach dem Portier, ging dann zum Brunnen in der Mitte und blieb stehen. Sie sah den Krankenwagen und sagte etwas zum Oberstaatsanwalt. Der Portier kam, seine Jacke zuknöpfend, auf sie zugelaufen. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, sagte sie: »Wenn diese Leute fertig sind, gehen Sie hinunter und sehen nach, wieviel Schaden angerichtet wurde.«
    Sie erblickte den Wachtmeister. Sie sah ihm direkt in die Augen. Sie sah nicht die Trage hinter dem Krankenwagen auftauchen. Da begann der Zwerg aufzuschreien, stakkatohaft, nicht erschrocken, sondern wuterfüllt. Der Wachtmeister lief zum Turmeingang, er wußte, was die Wut des Zwerges bedeutete. Die Marchesa und all die Leute im Hof starrten hinter ihm her. Er stampfte die steinernen Stufen hoch, immer im Kreis, immer höher, mit jagendem Herz, kein einziges Mal innehaltend, um Luft zu holen, und dennoch wußte er, daß er zu spät kommen würde, und die schwitzende Hand, mit der er nach dem Seil griff, rutschte immer wieder ab.
    Ziemlich weit oben holte er den Zwerg ein, der sich noch immer allein durch die Kraft seines Oberkörpers hochhievte. Seine kurzen Beine trugen ihn schon fast nicht mehr, und vor lauter Atemlosigkeit konnte er seine Wut über seine Ohnmacht nicht mehr hinausschreien. Tränen mischten sich mit Schweiß auf seinem streifigen Gesicht, und aus seinem Mund kamen atemlose, unverständliche Flüche. Kaum war der Wachtmeister an ihm vorbeigekommen, ließ er sich, noch immer an dem Seil festhaltend, auf die Stufen sinken.
    Die Turmspitze war leer. Der Wachtmeister blieb stehen. Er faßte sich an die Brust und schloß die Augen, so schmerzhaft war das Stechen in seiner Lunge. Der türkisblaue Himmel über ihm ging in ein tiefes Nachtblau über, und friedlich funkelte der erste Stern. Nie wäre der Wachtmeister auf den Gedanken gekommen, daß Neri am Ende versuchen würde, den Palazzo Ulderighi auf dieselbe Weise zu verlassen, wie sein Vater es offenbar vorgehabt hatte. Er wußte, noch ehe er die Mauer erreichte, bevor er mit seinen großen Händen die warmen Steine der Brüstung berührte, daß Neri am Brunnen liegen würde, ein kleines Häuflein zu Füßen seiner Mutter. Langsam beugte er sich vor, um auf den Tod hinunterzublicken, den zu verhindern ihm nicht gelungen war. Die erste Feuerwerksrakete zeichnete ihr glitzerndes Bild an den Himmel zu Ehren des Heiligen Giovanni, des Schutzheiligen der Stadt Florenz. Es war die Nacht auf den 24. Juni.
    Die Leiche wies Verletzungen an Kopf und rechter Hand auf (siehe Foto 2).
    Die rechte Hand war gebrochen, wahrscheinlich durch den Aufschlag auf dem Brunnenrand, doch das nahm die Marchesa ebenso wenig wahr wie den zertrümmerten Schädel. Kummer bereiteten ihr die Hautschürfungen an der Hand, und im Feuerwerkslärm hatte sie immer wieder nach Wasser und Verbandszeug gerufen. Als die Ambulanzleute mit der Trage näherkamen, wurde sie wütend.
    »Sehen Sie nicht, daß er schläft? Er hat immer mit dem Gesicht nach unten geschlafen… Ich habe mir deswegen immer Sorgen gemacht, aber die Ärzte… Wieso ist kein Wasser da? Bringen Sie mir Verbandszeug! Mein Gott, sehen Sie nicht, daß er sich die Hand verletzt hat?«
    Schließlich hatten sie die tote Hand verbinden müssen. Dann erst ließ sich die Marchesa vom Oberstaatsanwalt wegführen.
    »Ich habe Ihnen ja gesagt«, meinte sie, »daß er irgendwann zu mir zurückkommen wird.«
    Immer wieder wurde ihr lächelndes Gesicht von den blauen, roten und grünen Explosionen beschienen.
    Der Wachtmeister sollte sie nie wieder sehen. Viele Jahre später starb sie in einer Klinik in der Schweiz. Sie erlangte nie wieder den Verstand, und nichts konnte ihre unendliche Gemütsruhe stören.
    Mit Genehmigung von Staatsanwalt Dr. Mauro Maurri wurde die Leiche um 22.25 Uhr entfernt und von einem Krankenwagen der Misericordia zum Gerichtsmedizinischen Institut gebracht.
    Das Gespräch mit dem Oberstaatsanwalt und mit Staatsanwalt Maurri am nächsten Morgen war kurz gewesen. Der Kreis hatte sich geschlossen, ein
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