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Tod im Jungfernturm

Tod im Jungfernturm

Titel: Tod im Jungfernturm
Autoren: Anna Jansson
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nicht mehr.«
    Maria nickte, sagte aber nichts. Trygvessons Frau faltete sorgfältig die Bluse zusammen, die sie in der Hand hatte. Strich jede kleine Falte glatt.
    »Es ist so seltsam … wenn man ein ganzes Leben mit jemandem verbracht hat, dann meint man doch, man würde sich kennen. Aber so ist es nicht. Nicht bei uns. Ich habe immer gewußt, daß es einen Teil im Leben meines Mannes gab, zu dem ich keinen Zutritt hatte. Etwas, das geschehen war, ehe er mich kennenlernte. Und anfänglich habe ich das auch akzeptiert. Erst war es nur wie ein Schatten, eine vage Ahnung von etwas Unangenehmem. Dann wuchs es immer mehr. Als unsere Tochter starb, hat es ihn total verschlungen. Er war einfach nicht mehr hier bei mir. Etwas aus der Vergangenheit nahm einen größeren Platz ein als die Gegenwart. Seinetwegen beschloß ich, nach Gotland zu ziehen, damit er das, was ihn quälte, würde greifen können. Vielleicht war das ein Fehler, ich weiß es nicht. Als wir hierherkamen, hat er sich völlig verändert. Ich erkenne ihn einfach nicht mehr wieder. Das macht mir angst. Nachts quälen ihn Alpträume. Tagsüber arbeitet er, und dann ist er bis spät abends weg, ohne zu sagen, wo er war. Manchmal lügt er mich an. Ich halte es einfach nicht mehr aus, wenn er sich mir nicht anvertrauen will.«
    »Hat er denn schon früher mal auf Gotland gewohnt?«
    »Ja, jeden Sommer in seiner Jugend. Aber irgend etwas ist passiert. Ich glaube, er hat eine andere Frau. Aber es geht ihm nicht gut dabei. Wenn er verliebt und glücklich wäre, dann würde ich mich vielleicht betrogen fühlen, aber ich wüßte doch, wie alles zusammenhängt. Aber jetzt weiß ich gar nichts mehr. Vorige Woche habe ich den Ehering und den Silberarmreif, den er mir geschenkt hat, auf den Küchentisch gelegt und bin gegangen.«
    »Darf ich den Armreif mal sehen?« fragte Maria vorsichtig.
    »Er liegt auf der Kommode.«
    Mit einem Blick konnte Maria sehen, daß das Schmuckstück dasselbe Muster trug wie die anderen Stücke von Birgitta Gullberg.
    »Wissen Sie, woher er den Schmuck hatte?«
    »Er hat ihn auf dem Marktplatz gekauft. Vielleicht verwechsele ich jetzt auch etwas, aber als wir gerade hierhergezogen waren, hat er im Schlaf oft von Silber geredet. Daß er jemanden deswegen anzeigen würde. Dann wurde es still um diese Sache, und in der letzten Zeit waren seine Träume viel schlimmer. Einmal habe ich ihn gefragt, wer Mona ist, ihr Name fällt öfter, wenn er im Schlaf spricht. Manchmal nennt er sie Zichorienauge.«
    Maria stand plötzlich auf.
    »Was ist denn, Maria?«
    »Wir müssen zum Krankenhaus! Trygvesson darf nicht mit Mona allein sein.«

47
    Mit Hilfe von Lügen kann man vorwärtskommen, aber niemals zurück. Tommy Trygvesson fuhr auf seinem Fahrrad an Norrgatts Konditorei vorbei und dann den Hügel zum Krankenhaus hinunter. Die Vergangenheit überkam ihn wieder, ohne daß er sich wehren konnte. Die Luft blieb wie ein großer Kloß in seinem Hals stecken. Sie wuchs in der Brust und schmerzte. Das hatte er schon früher erlebt. Das war die Strafe.
    In den siebziger Jahren war sie wie eine Droge in seinem Blut gewesen. Er hatte gewußt, daß es falsch war, aber er hatte einfach nicht genug bekommen können. Wenn er gewußt hätte, welche Folgen das haben würde, dann hätte er sie niemals zu einer Zigarette eingeladen, damals, als sie am Zaun des Festplatzes herumhing. Das lange, blonde Haar reichte ihr bis zur Taille. Sie trug eine winzige Bluse zum Knoten und einen superkurzen, weißen Rock. Die Augen waren von kräftigen Kajalstrichen eingerahmt, die Lippen silbern geschminkt. Ihr ganzes Wesen strahlte etwas Verletzliches und Zerbrechliches aus, fand er, als er sie heimlich beobachtete. Sie stand da und biß sich auf die Knöchel, ein wenig x-beinig und mit krummem Rücken. Als er zu ihr kam, richtete sie sich auf und warf ihre Haare zur Seite, indem sie den Kopf herumwarf. Sie tat so, als würde sie ihn nicht sehen, sah ihn aber ein paar Mal verstohlen an. Interesse durchaus vorhanden.
    »Die spielen gut«, sagte er und nickte zur Tanzfläche hin. Sie zuckte zusammen, und er war erstaunt über ihre heftige Reaktion. Als hätte er sie aus verbotenen Gedanken gerissen. »Habe ich dich erschreckt?«
    »Nein, warum?« Einen Moment schwiegen sie. Sie sah zu Boden und schluckte. Ihre rosafarbene Bluse war tief ausgeschnitten, ihr Rock hing auf den Hüften und wurde durch einem schwarzen Ledergürtel mit groben Nieten an Ort und Stelle gehalten. Der
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