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Tod im Dünengras

Tod im Dünengras

Titel: Tod im Dünengras
Autoren: Gisa Pauly
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es
entweder steil bergauf oder bergab, und wer sich dort fortbewegte, ging langsam
und mühevoll oder zumindest sehr vorsichtig. Herrlich, dieses ungehinderte
Ausschreiten!
    Sie verlangsamte ihr Tempo erst, als sie die Westerlandstraße
überquert hatte. Obwohl die Hochsaison vorbei war, herrschte dort noch reger
Verkehr. Und das am Sonntag! In ihrem umbrischen Dorf lagen die Gassen an einem
Sonntagnachmittag verlassen da, auf Sylt jedoch war der Sonntag allen anderen
Tagen gleich.
    Als Mamma Carlotta in den Hochkamp einbog, ließ sie die Unruhe
hinter sich. Aus einem der Häuser drang der Geruch von gebratenem Fisch, aus
einem anderen sanfte Klaviermusik. Hier wohnten nicht nur Feriengäste, sondern
auch Sylter. Sie liebte die Endlosigkeit dieser Straßen, die aufs Meer zuliefen
und so aussahen, als würden sie direkt in den Himmel führen.
    Â»Ach, Dino«, murmelte sie, »wenn ich dir das zeigen könnte!«
    Aber er war ja schon zu krank gewesen, als Lucia sich entschloss,
einem deutschen Touristen nach Sylt zu folgen. Von der Hochzeit, die in Umbrien
stattfand, hatte er nichts mehr mitbekommen. Was er dachte und fühlte, konnte
er am Ende nur noch mit der linken Hand ausdrücken, die unablässig nach ihrer
tastete. Ruhig war er nur gewesen, wenn er wusste, dass sie neben ihm saß. An
eine Reise nach Sylt war nicht zu denken gewesen, nicht einmal an Lucias
Beerdigung hatte sie teilnehmen können. Weinend war sie an Dinos Bett sitzen
geblieben, während Lucias sechs Geschwister die schwere Reise nach
Norddeutschland antraten.
    Carlotta kramte ein Taschentuch hervor und schnäuzte sich kräftig.
Hatte sie genug Lebenszeit hingeblättert, um für ihre Reisen nach Sylt zu ihrem
Schwiegersohn und ihren Enkeln so viel Geld ausgeben zu dürfen? Oder würde Dino
ihr, wenn er es könnte, vorhalten, dass sie sein sauer Erspartes zum Fenster hinauswarf?
Sie schickte einen Blick gen Himmel, mit dem sie sich rechtfertigen wollte.
Immerhin hatte sie vor jedem Syltbesuch einen Friseur aufgesucht, hatte sich
Lippenstift und Lockenstab angeschafft, ihre dunklen Kleider ganz hinten in den
Schrank verbannt und stattdessen viel Geld für Blümchenstoffe, bunte Blusen und
sogar Hosen ausgegeben. Für diesen Aufenthalt hatte sie nicht einmal vor
modischen Schuhen zurückgeschreckt, die sich Sneakers nannten. Dino hätte kein
Verständnis für diese Anschaffungen gehabt, aber ehe sie ihm erklären konnte,
warum sie sich im Recht fühlte, wenn sie etwas tat, was sie glücklich machte,
war sie Gott sei Dank an ihrem Ziel angelangt.
    Der Imbiss, der sich Käptens Kajüte nannte, war in einem dunklen
Haus untergebracht, das auf einem viel zu großen Grundstück stand. Der Platz
hinter dem Haus hätte einen passablen Biergarten abgegeben, war aber mit
Bierfässern, Getränkekisten und allerlei Gerümpel zugestellt. Die paar Meter
vor der Eingangstür hätten längst gepflastert werden müssen. Ein paar
Stehtische wackelten auf dem buckligen Boden hin und her. Nach regnerischen
Tagen standen sie in Pfützen, während einer Schönwetterperiode im Staub.
    Die Tür zu Käptens Kajüte stand weit offen, wie immer, wenn es nicht
regnete und die Temperaturen deutlich über dem Gefrierpunkt lagen. An diesem
Tag schien sogar die Sonne, und der Lichteinfall tat dem düsteren Ambiente der
Imbiss-Stube sehr gut. Bei Regenwetter und geschlossener Tür verliehen ihr die
olivgrünen Bodenfliesen, die holzvertäfelte Decke und die verklinkerten Wände
das Flair eines Kohlenkellers.
    Das Gesicht des Wirtes verzog sich zu einem Lächeln, als er seinen
ersten Gast erkannte. »Signora! Das wurde aber auch Zeit, dass Sie sich hier
blicken lassen! Ich dachte schon, Sie hätten sich eine neue Stammkneipe
gesucht.«
    Â»Buongiorno!« Mamma Carlotta liebte herzliche Begrüßungen. Wenn
diese hier auch nichts mit dem lauten Hallo zu tun hatte, mit dem man sich in
der Cafeteria ihres Dorfes zu begrüßen pflegte, so wusste sie doch, dass Tove
normalerweise selten mehr als ein genuscheltes »Moin!« über die Lippen kam.
Diese vielen Wörter, noch dazu mit einem Lächeln vorgebracht, waren also
unbedingt als herzliche Begrüßung zu verstehen.
    Strahlend schwang sie sich auf einen Barhocker und stellte
hochzufrieden fest, dass es ihr von Mal zu Mal besser gelang, dieses
ungemütliche Sitzmöbel zu erklimmen, das
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