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Tod im Dünengras

Tod im Dünengras

Titel: Tod im Dünengras
Autoren: Gisa Pauly
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Wie
sollen wir dann beweisen, dass es sie auf Sylt überhaupt gibt?«
    Erik, der gerade das auf keinen Fall beweisen wollte, versuchte den
Kopf in den Sand zu stecken. »Warten wir erst mal ab, Sören. Vielleicht gibt es
eine ganz einfache Erklärung, wenn Henner Jesse aus dem Koma erwacht.«
    Erleichtert vernahm er Mamma Carlottas Stimme. »Enrico! Sören! Was
ist nun mit dem Grappa?« Dann erschrak er, weil ihre Stimme so nah war. Warum hatte
er nicht gemerkt, dass sie sich während ihres Gesprächs dem Fenster genähert
hatten, das von der Speisekammer nach draußen führte? Und dass es offen stand,
war ihm auch nicht aufgefallen. Wie lange mochte Mamma Carlotta dort schon nach
der Grappaflasche suchen?
    Erik griff nach Sörens Arm und flüsterte: »Kommen Sie! Das mit der
kalabrischen Mafia vergessen wir erst mal. Das wäre ja noch schöner! Die Mafia
auf Sylt …!«
    Sie hatten kaum die Terrassentür wieder aufgeschoben, da stand Mamma
Carlotta vor ihnen. »Die Mafia? Auf Sylt?«
    Â»Pscht!« Erik brachte sie mit einer heftigen Handbewegung zum
Schweigen. »Dass die Kinder nichts davon mitbekommen!«
    Â»Naturalmente!« Mamma Carlotta flüsterte nun so laut, dass sie
ebenso gut über die Umtriebe der Mafia ein Lied hätte anstimmen können. »Dann
ist also dieser arme Mann in den Dünen … Terribile!«
    In diesem Augenblick waren Felix’ Schritte zu vernehmen, und Mamma
Carlotta schwieg augenblicklich. So schwer es ihr auch fiel, sensationelle
Neuigkeiten für sich zu behalten, niemals hätte sie etwas gesagt oder getan,
was ihre Enkelkinder in Angst und Schrecken versetzte!
    Felix hatte sich nach dem Mittagessen in die Gesellschaft
seiner Fußballfreunde begeben, wo gelegentlich zwar das Vereinslied gegrölt,
aber ganz gewiss nie ein Volkslied gesungen wurde, und Carolin hatte sich zum
Üben in ihr Zimmer zurückgezogen. Da es mit der Schallisolierung im Hause Wolf
nicht zum Besten stand, kam Erik und Sören der Gedanke, im Kliffkieker noch
einmal in aller Ruhe über den Fall Jesse zu reden. Dass sie Mamma Carlotta
allein lassen mussten, bedauerten sie zwar, versprachen aber, zum Abendessen
pünktlich zurück zu sein. Erst recht, als sie hörten, dass Pizza tonno auf dem
Speiseplan stand, die Mamma Carlotta mit vielen roten Zwiebeln und Kapern zu
belegen pflegte.
    Ã„rgerlich sah sie den beiden hinterher. Glaubten die wirklich, sie
hätte nicht gemerkt, warum sie das Haus verließen? Der Grund lag doch auf der
Hand. Sie sollte nicht erfahren, was es mit dem Überfall auf den armen Gastwirt
auf sich hatte. Aber wenn tatsächlich die Mafia dahintersteckte, dann musste
Erik doch wissen, dass sie ihm helfen konnte! Sie war Italienerin, sie erkannte
einen Landsmann auf den ersten Blick und konnte Gespräche belauschen, die auf
Italienisch geführt wurden. Hatte er daran noch nicht gedacht? Oder vertraute
er ihr etwa nicht?
    Am Fuß der Treppe rief sie mit leiser Stimme gegen die laut
vorgetragene Behauptung an, in einem kühlen Grunde gehe ein Mühlenrad: »Ich
mache einen Spaziergang!« Natürlich hatte Carolin sie nicht gehört, und Mamma
Carlotta machte sich zufrieden auf den Weg. Später konnte sie reinen Gewissens
behaupten, sie habe vor dem Verlassen des Hauses Bescheid gesagt. Nicht dass
sie etwas gegen einen Spaziergang mit ihrer Enkelin gehabt hätte, aber mit
Carolin zusammen hätte sie einen anderen Weg wählen müssen, mit einem anderen
Ziel. Jetzt jedoch hatte sie beschlossen, ihre Fragen in Käptens Kajüte zu
tragen, einen Imbiss, wo sie zwar nicht immer beantwortet, aber doch jedes Mal
unter angenehmen Umständen erörtert werden konnten. Nicht nur, dass dort
Rotwein aus Montepulciano ausgeschenkt wurde, in Käptens Kajüte ließ sich vor
allem jedes kleinste Problem genüsslich drehen und wenden und von allen Seiten
betrachten. Dem Wirt blieb nichts anderes übrig, als hinter seiner Theke stehen
zu bleiben und sich alles anzuhören, was er erzählt bekam, und Strandwärter
Fietje, der dort seine gesamte Freizeit verbrachte, war stets hocherfreut, wenn
überhaupt jemand das Wort an ihn richtete. Mamma Carlotta gehörte zu den
wenigen, die sein schlechter Ruf nicht scherte.
    Mit großen Schritten ging sie den Süder Wung entlang. Wie schön es
war, in diesem Tempo eine längere Strecke zu laufen! In ihrem Dorf ging
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